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Weltsprache des Altertums

Es ist eine abenteuerliche Reise, auf die Horst Gzella seine Leserschaft mit seinem Buch Aramäisch mitnimmt. Er ist ein ausgewiesener und sprachkundiger Fremdenführer, vor gut zehn Jahren hat er einen sehr instruktiven Überblick zu den Sprachen aus der Welt des Alten Testaments herausgegeben, daneben zeigt er sich verantwortlich für ein umfassendes Wörterbuch zur aramäischen Sprache.

Wir finden uns in der Keizersgracht in Amsterdam ein, bei der „De Moeders Godskerk van de Syrisch-Orthodoxen Amsterdam“. Der Begriff „Gottesgebärerin“ führt uns in die christologischen Streitigkeiten des fünften Jahrhunderts und ist nicht nur Name, sondern auch Bekenntnis. Die Bezeichnung „syrisch“ meint eigentlich „aramäisch“, so weist auch die syrische Schrift auf der Inschrift in die frühste Zeit. Die Buchstaben wie die orthografischen Regeln entstammen einer vorchristlichen Kanzleischrift. Etta, das Wort für Kirche, ist dem Hebräischen eda entlehnt, welches Versammlung oder Gemeinde bedeutet. Wir haben noch keinen Schritt gemacht und stehen schon inmitten der dreitausendjährigen Geschichte des Aramäischen.

Es ist eine Mammutaufgabe, der sich Gzella gestellt hat, zehn Jahre hat er an seinem Werk gearbeitet, „größtenteils während der Stille der Nacht, in räumlicher Abgeschiedenheit und beim Schein der Studierlampe“. Und es ist eine Sisyphusarbeit, Aramäisch ist eine lebendige Sprache, aufgeteilt in unzählige Dialekte, die sich nach Ort und Zeit unterscheiden und ständiger Veränderung unterliegen. Sie verband in Orient und Antike die verschiedenen Völker, diente auf lokaler Basis der mündlichen Kommunikation und der schriftlichen Verständigung.

Bei aller Unterschiedlichkeit, es gibt einen konstanten grammatischen Bauplan und wesentliche Gemeinsamkeiten in der Phonologie. Das hält dieses weitgespannte Netz zusammen, geknüpft in den lokalen Schreibstuben gebildeter Schreiber. Auf sie hat der Autor sein Augenmerk besonders geworfen, ihrer Wendigkeit und Anpassungsfähigkeit wie auch ihrer Selbstständigkeit verdankt diese Sprache ihr Durchsetzungsvermögen und ihre Langlebigkeit. Und nicht zuletzt verhalf ihr auch die leicht zu handhabende Alphabetschrift aus Byblos zum Erfolg. Verträge und Briefe fassten ihre Schreiber zunächst ab, später auch poetische und religiöse Texte.

Das Zentrum waren Syrien und Mesopotamien, über Kaufleute und Missionare wurde Aramäisch dann bis nach Nordafrika und China gebracht. Seit dem ersten Jahrhundert vor Christus wird es auch in Palästina gesprochen. Im Neuen Testament finden sich bekanntlich zwei aramäische Zitate Jesu „talihta kum“ und „lama sabachthani“, sehr vereinzelt begegnen auch Semitismen. Gzella aber warnt vor einer Rückübersetzung ins Aramäische, für ihn ist das eine „unhaltbare Pseudowissenschaft“. Wie gut, dass das der Theologe und Orientalist Joachim Jeremias (1900–1979) nicht lesen muss. Interessant ist der Hinweis auf den Christustitel „Menschensohn“, er bedeutet schlicht „jemand“ oder „jedermann“.

Das Wort „Menschensohn“ entstammt bekanntlich dem Danielbuch, in dem – wie auch bei Esra – Teile in Aramäisch abgefasst sind. In diesem Kapitel ist Gzella ein kleines Meisterstück gelungen, denn hier führt die Sprache zur Lösung des Menetekels. Es ist gerade die Verbindung von „durchgebildete[m] Schreibertum und inspirierter Weisheit“, dem das Rätsel seinen Ursprung und seine Aussage verdankt. Die beiden Begriffe für Hand und Schrift kennzeichnen in der reichsaramäischen Tradition die eigenhändige Unterschrift. Bevor auch nur jemand den Sinn verstanden hat, war das Schicksal Babylons durch Gottes selbst unterzeichnetes Urteil besiegelt.

Auf den langen und bisweilen verschlungenen Wegen durch die Geschichte des Aramäischen erweist sich Gzella stets als kundiger Reiseführer, der uns von dem frühsten Auftauchen eines aramäischen Textes auf der ägyptischen Insel Elephantine bis hin zum Auftauchen des Arabischen bringt, aber auch zum Neubeginn der Sprache im Turoyo, das in der Diasporagemeinschaft in Internetkursen unterrichtet wird. Im Grunde sind wir wieder am Anfang angelangt, nach beinahe dreitausend Jahren und 380 Seiten. Die Reise samt Reiseführer verdient eine Empfehlung. Ein reichhaltiger Anhang schließt das Werk ab.

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