Dicke Bretter bohren

Die Sozialwirtschaft könnte viel für den Klimaschutz tun. Doch die Gesetze hindern sie. Die Diakonie will das ändern
Sonnenkollektoren
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Kliniken, Kitas, Pflegeheime – die deutsche Gesundheits- und Sozial­wirtschaft unterhält bis zu 100 000 Gebäude. Diese klimaneutral zu machen, würde mehr CO2 einsparen als ein Tempolimit. Die Sozialgesetzbücher sehen aber Nachhaltigkeit nicht vor, die Betreiber blieben auf ihren Kosten sitzen. Die Diakonie Deutschland und andere haben ein Konzept entwickelt, um das zu ändern. Doch die Verhandlungen mit der Politik sind kompliziert.

Hier geht es nicht um Peanuts. Es geht um geschätzt bis zu 100 000 Gebäude in Deutschland. So viele Kliniken, Pflegeheime, Kindergärten und Sozialeinrichtungen nutzt nämlich die Gesundheits- und Sozialwirtschaft in Deutschland. In diesen Gebäuden werden nicht nur Millionen Menschen in unterschiedlichsten Lebenslagen beraten, betreut und versorgt. Auch volkswirtschaftlich ist die Branche mit einem Umsatz von 185 Milliarden Euro pro Jahr eine echte Größe.

Doch in den wenigen verbleibenden Jahren, in denen noch Zeit bleibt, den Klimawandel halbwegs beherrschbar zu halten, ist eine weitere Kennziffer von Bedeutung: 14,35 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Das ist die Menge des klimaschädlichen Gases, die durch die Gebäude für die wertvolle Arbeit in ihnen ausgestoßen wird. Zum Vergleich: 2022 hat Deutschland insgesamt 666 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft geblasen, es geht also allein beim Energiebedarf der Gebäude um gut zwei Prozent des nationalen Klimadrecks (wenn man andere klimaschädliche Gase wie Methan beiseite lässt). Klingt wenig, ist aber mehr, als zum Beispiel ein Tempolimit auf Autobahnen und Landstraßen bringen würde.

Anders als das Tempolimit, das für wenig Geld einzuführen wäre, würde eine Dekarbonisierung der Gesundheits- und Sozialwirtschaft allerdings erhebliche Investitionen erfordern. Wärmedämmung, Photovoltaik auf das Dach, Wärmepumpen und andere Investitionen könnten Milliarden Euro kosten. Doch dem gegenüber stünden ja Einsparungen bei steigenden Energiepreisen. Zudem sollen Gebäude ab 2027 nach dem Willen der EU in die CO2-Bepreisung mit einbezogen werden, momentan sind mindestens 45 Euro pro Tonne CO2 im Gespräch. „Ab 2027 flattern die Rechnungen ins Haus“, sagt Rolf Baumann, stellvertretender Geschäftsführer und Bereichsleiter Ökonomie beim Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland e. V. (VdDD). Ein stationärer Pflegeheimplatz würde dadurch rund 100 Euro pro Jahr teurer. Und umso mehr der CO2-Preis steigt, desto höher sind die Kosten für den Pflegeplatz. Doch neben den steigenden Kosten gibt es ja noch eine weitere Motivation: Die Diakonie Deutschland will ab 2035 klimaneutral arbeiten.

Nachhaltigkeit nicht vorgesehen

Doch wer als Betreiber einer Klinik oder eines Pflegeheims sein Haus energetisch sanieren will, hat ein Problem: Es rechnet sich für ihn nicht. Denn das Geld für die Arbeit und die Investitionen, erhält er im Rahmen der „dualen Finanzierung“ von den „Kostenträgern“, also der Kommune, den Sozialversicherungen, dem Land, je nachdem. Mit diesen verhandelt er, beide Seiten sind dabei aber an gesetzliche Vorgaben gebunden. Und da gelten Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, ökologische Nachhaltigkeit ist noch nicht als Prinzip vorgesehen. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass Kosten für eine energetische Sanierung nicht im Pflegesatz berücksichtigt werden dürfen, die aktuellen Energiekosten anteilig aber schon. Die Folge: Der Betreiber bleibt auf den Kosten für die Sanierungen sitzen, die Ersparnisse bei der Strom- und Gasrechnung muss er aber an den Kostenträger weiterreichen, der weniger für einen Pflegeheimplatz bezahlen muss.

Auch eine Finanzierung durch Zuschüsse für die Renovierung ist in vielen Fällen keine Lösung. Für einen Umbau von Zweibett- auf Einzelzimmer gebe es Geld, sagt Friederike Mussgnug, stellvertretende Leiterin des Zentrums Recht und Wirtschaft bei der Diakonie Deutschland. „Aber gleichzeitig eine neue Wärmedämmung anzubringen, was ja sinnvoll wäre, wenn man schon eine Baustelle einrichtet, ist in den Richtlinien nicht vorgesehen.“ Auch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach gilt als „nicht betriebsnotwendig“, wer sie dennoch anbringt, droht auf den Kosten sitzen zu bleiben.

Was tun? Gemeinsam mit der Katholischen Universität Eichstätt und einigen anderen Vertretern der Gesundheits- und Sozialwirtschaft haben Baumann und Mussgnug ein Konzept entwickelt, das gleich an vier Punkten ansetzt: 1. Das Sozialrecht muss so verändert werden, dass auch ökologische Nachhaltigkeit als Prinzip bei den Verhandlungen mit den Kostenträgern eine Rolle spielen kann. 2. Bis zur Amortisation der Investition verbleibt der erzielte Einspargewinn bei den Einrichtungen. 3. Ein eigenes Emissionshandelssystems für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft, mit dem frühe Investitionen in den Klimaschutz belohnt würden. 4. Die Sozial- und Energiewirtschaft wird selber zum Energieproduzenten und deckt durch Photovoltaik und Windräder auf Freiflächen nicht nur ihren eigenen Bedarf, sondern kann im Zweifel auch den so produzierten Strom verkaufen.

Das Potenzial ist auch hier gewaltig, über 4 Millionen Megawattstunden könnten laut einer Vorstudie durch Photovoltaik auf den Dächern der Branche pro Jahr erzeugt werden, das entspricht der Stromproduktion eines kleineren Kohlekraftwerkes. Wenn die Häuser optimal gedämmt sind und mit einer Wärmepumpe ausgestattet sind, könnten sie so 70 Prozent ihres Energieverbrauches selber decken. Hinzu kämen noch Parkplätze für weitere Solarstromanlagen oder Freiflächen für Windräder. Allerdings braucht das alles technisches und organisatorisches Know-how, vor allem wenn der überschüssige Strom weiterverkauft werden soll. Auch steuerrechtliche Hürden bei gemeinnützigen Betrieben, um die es sich ja häufig handelt, verkomplizieren die Umsetzung der Idee. Hier wünschen sich die Autoren des Konzepts eine Vereinfachung des Steuerrechts und der Förderrichtlinien.

Ganz neu eingerichtet werden müsste ein spezieller CO2-Zertifikatehandel für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Die Idee: Jedes Unternehmen bekommt entsprechend seines aktuellen Verbrauchs eine bestimmte Menge an Verschmutzungsrechten zugeteilt, die 2035 wertlos werden. Wer in Klimaschutz investiert und weniger Verschmutzungsrechte braucht, als er bekommen hat, kann diese verkaufen, entweder zu einem festgelegten Mindestpreis an den Staat oder an andere Unternehmen der Branche. Wer mehr braucht, muss weitere Zertifikate kaufen. Da vorgesehen ist, dass die Steuer auf CO2 (beziehungsweise der Mindestpreis) steigt, rentiert sich also eine möglichst frühe Investition in den Klimaschutz, die man dann auch aus dem Verkauf der nicht benötigten Verschmutzungsrechte finanzieren könnte. So die Idee; allerdings ist fraglich, ob in der Politik eine dann doch recht kleinteilige Branchenlösung dieser Art durchzusetzen ist.

Aber auch die angestrebte Verankerung des Nachhaltigkeitsprinzips in die Sozialgesetzbücher (SGBs) ist ein dickes Brett, an dem Friederike Mussgnug und Rolf Baumann mit ihren Teams seit einigen Monaten bohren. Das Problem: Es sind viele Ministerien beteiligt. Für die Sozialgesetzgebung klassischerweise drei, nämlich das Bundesarbeits- und Sozialministerium, das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das Thema Klimaschutz war bislang verortet im Bundesumweltministerium, ist nun aber ins Bundeswirtschaftsministerium gewandert. Dort ist die freie Wohlfahrtspflege bislang kein großes Thema gewesen. Und wenn man Friederike Mussgnug fragt, wo der Ball nun liegt, sagt sie: „In allen Ministerien gleichzeitig.“

Kühle Antwort

Deshalb wäre wohl ein Runder Tisch wünschenswert, an dem sich die verschiedenen Ministerien und die Vertreter der Sozial- und Gesundheitswirtschaft zusammensetzen könnten. Oder ein Kongress, so wie ihn die Diakonie Deutschland mit anderen diakonischen Verbänden und der KD Bank im Mai in der Berliner Kreuzkirche ausgerichtet hatte. Zu Gast waren auch Vertreter der genannten Ministerien, im öffentlichen Teil stellte sich Staatssekretär Christian Kühn aus dem Bundesumweltministerium der Kritik von Diakoniepräsident Ulrich Lilie. Sie fiel deutlich aus: „Ich renne seit Jahren von Ministerium zu Ministerium und erlebe nicht, dass Programme aufgelegt werden, damit die Sozialwirtschaft die Hebel umlegen kann, die wir umlegen könnten.“ Die zunächst etwas kühle Antwort des Staatssekretärs: „Wir versuchen den Koalitionsvertrag abzuarbeiten, und das steht da nicht drin.“ Doch am Ende der Diskussion bot er den Vertretern der Branche an, sich mit ihnen zu treffen, um zu überlegen, wie die Transformation in der Sozialwirtschaft finanziert werden kann. Ein Runder Tisch scheint möglich.

An der Problemlösung sind nicht zuletzt auch die kirchlichen Banken interessiert, die oft den Bau von Pflegeheimen und Krankenhäusern über Kredite finanzieren. Damit stehen diese Immobilien in ihrem Portfolio, über das die Banken Auskunft geben müssen, auch um mögliche finanzielle Risiken zu erkennen. Weil die EU aber im Rahmen ihres „Green New Deals“ neben den Finanzkennzahlen auch Nachhaltigkeitskriterien bei der Berichterstattung eines Unternehmens fordert und eine schlechte Bewertung in diesen Punkten negative Folgen für das Unternehmen und die kreditgebende Bank haben kann, wird das Thema auch von zentraler Bedeutung etwa für die KD Bank in Dortmund oder die EB Bank in Kassel sein.

„Wenn es bei der aktuellen grünen EU-Taxonomie bleibt, wird der Sozialwirtschaft der Zugang zu Krediten erheblich erschwert und verteuert“, warnte etwa Jörg Moltrecht, Vorstand der KD Bank auf dem Kongress. „Damit Sozialunternehmen ihre wertvolle gesellschaftliche Verantwortung in Zukunft wahrnehmen können, brauchen sie auch Finanzierungssicherheit für ihre nachhaltigen Investitionen. Diese ist in den einschlägigen Refinanzierungsbedingungen derzeit nicht erkennbar.“ Deshalb forderte er: „Die EU-Taxonomie muss noch um die soziale Nachhaltigkeit ergänzt werden, da sonst ökologische und soziale Fragen gegeneinander ausgespielt werden.“

Die soziale Taxonomie auf EU-Ebene soll kommen, noch ist aber vieles unklar. Dem Kongress zugeschaltet war EU-Kommissar Nicolas Schmidt, der einräumte: „Wir arbeiten daran, aber es ist schwierig.“ Und schloss dann die wenig konkrete Prognose an, er hoffe darauf, dass in dieser Legislaturperiode Fortschritte erzielt würden.

Klarer ist der Stand bei der grünen Taxonomie, die immer mehr Unternehmen schrittweise in die Pflicht zur Berichterstattung über die ökologische Nachhaltigkeit nimmt. Und dies betrifft auch Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Aber welche genau gehören dazu? Und wie muss ein entsprechender Nachhaltigkeitsbericht aussehen? Welche Daten müssen ermittelt werden? Beide evangelischen Kirchenbanken bieten dazu Beratung und Hilfsmittel an. Die KD Bank bezieht sich dabei auf den Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK), der 20 Kriterien für eine entsprechende Berichterstattung vorsieht. Auf der DNK-Website kann man so erste Schritte zur Erstellung eines Berichtes realisieren und sich in eine kostenlos nutzbare Datenbank eintragen. Auch Webinare zur Nachhaltigkeitsberichterstattung werden angeboten.

Zwei Werkzeuge

Die EB Bank in Kassel bietet ihren Kunden ebenfalls entsprechende Beratung an und hat zwei kostenpflichtige Tools für eine Berichterstattung entwickelt. Das „EB-Sustainability-Scoring“ soll eine erste Standortbestimmung der eigenen Nachhaltigkeitsleistung ermöglichen und einen einfachen Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung bieten. Man kann für das Unternehmen einen CO2-Fußabdruck erstellen und diesen am 1,5-Grad-Ziel und den anderen Unternehmen der Branche messen lassen. Das zweite Tool, das „EB-Immo-Scoring“, soll einen Überblick über den Stand der Nachhaltigkeit bei den Immobilien des Unternehmens geben. Die notwendigen Maßnahmen zur Dekarbonisierung des Gebäudes werden aufgezählt, priorisiert und mit einer Investitionsplanung für die anstehenden Arbeiten versehen. 

Informationen
Das Konzeptpapier der Diakonie und anderen Experten aus der Sozial- und Gesundheitswirtschaft „Vier Schritte zur emissionsfreien Gesundheits- und Sozialwirtschaft“ aus dem vergangenen November kann hier heruntergeladen werden:
www.diakonie.de/fileadmin/user_upload/Diakonie/PDFs/Pressmitteilung_PDF/2022-11- 23_Refinanzierung_Nachhaltigkeit_Langfassung_im_Layout.pdf.

Die Scoring-Tools der EB Bank sind zu finden unter: www.eb.de/nachhaltigkeit/
scoring-tools.html
.

Eine Einführung ins Thema speziell für Unternehmen der freien Wohlfahrtspflege findet sich bei der KD Bank unter: www.kd-bank.de/content/dam/f0388-1/nachhaltigkeit/dnk/DNK%20Leitfaden.pdf.

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Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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