„Andere machen lassen“

Kirchliches Leben vor Ort hängt nicht an der Präsenz von Pfarrerinnen und Pfarrern
Foto: Christian Lademann

Übergänge sind lehrreiche Zeiten und vor allem in eigenen Lebensübergängen wird manches wie unter einem Brennglas sichtbar. Ich befinde mich gerade in einem solchen Übergang. Zum Ende des Monats verlasse ich meine Gemeindepfarrstelle und wechsele als Studienleitung für die pastorale Fortbildung ans Studienseminar meiner Landeskirche. Seitdem ich diesen Wechsel öffentlich gemacht haben erreichen mich auf allerlei Wegen Reaktionen darauf, die wahrscheinlich mehr über den Transformationsschmerz meiner Institution aussagen als über meine individuelle Entscheidung.

Ein Narrativ bewegt mich dabei besonders. In der Kommentarspalte eines facebook-Beitrages wird mir entgegengehalten, ich würde mit meiner Entscheidung „meine Gemeinde alleine lassen“. Mich bringt das vor allem in kirchentheoretischer Perspektive zum Nachdenken. Ich frage mich, was diesem Narrativ eigentlich für ein pfarrer*innenzentriertes Kirchenbild zugrunde liegt. Und ich frage mich, was dieser Vorwurf, der ja vor dem Hintergrund der rein quantitativen Entwicklung im Hinblick auf verfügbare Pfarrerinnen und Pfarrer an vermeintlicher Schlagkraft gewinnen wird, für Kolleginnen und Kollegen bedeutet, die sich zukünftig aus guten Gründen beruflich bewegen wollen, selbst wenn am aktuellen Dienstort Vieles gelingt.

Moderierende Funktion

Ich bin im Moment hin und wieder irritiert, wenn im Hinblick auf manche Pfarrstellen noch von Vakanzen die Rede ist. Im Hinblick auf einige dieser Vakanzen ist doch längst zu ahnen, dass es sich um Stellen handelt, die schlicht zukünftig nicht mehr besetzt werden können. Diese Entwicklung beginnt jetzt und sie wird sich im Laufe der kommenden Jahre massiv verschärfen. Ich rechne damit, dass Pfarrerinnen und Pfarrer zukünftig verstärkt in der Region agieren und so mehr moderierende Funktion haben. Die Vitalität kirchlichen Lebens an den kirchlichen Orten wird sich sehr stark durch ehrenamtliche Energien speisen. Wir werden erleben, dass kirchliche Orte aufblühen unter diesen Bedingungen und dass andere, wo diese Energien nicht entstehen, verschwinden werden. Es wird Orte geben ganz ohne kirchliche Aktivität und solche, die anziehend wirken in die ganze Region.

Im Kontext dieser Umbildungsprozesse werden es diejenigen Landeskirchen graduell leichter haben, die immer schon mit weniger pfarrer*innenzentrierten Kirchenbildern unterwegs waren. Das Stehen und Fallen kirchlichen Lebens vor Ort hängt nicht an der Präsenz von Pfarrerinnen und Pfarrern. Gleichwohl braucht es qualifiziertes theologisches Personal, dass die Initiativen in der Region versiert begleitet und exemplarisch Impulse setzt. Wir tun gut daran, diese Entwicklungen jetzt schon einzustielen. „Andere machen lassen“ sollte zum Grundimpuls pastoralen Handelns werden. Exemplarisch lässt sich das im Hinblick auf die ganz basale Handlung des Segnens in den Blick nehmen. Es ist gut, verstärkt Menschen aus unseren kirchlichen Orten dazu zu ermuntern und zu befähigen zu segnen. Wo beispielsweise in diesem Jahr Pfarrerinnen und Pfarrer am Valentinstag Paare gesegnet haben, könnte die Aufgabe für 2024 lauten, strategisch dafür zu sorgen, dass Ehrenamtliche Lust und Energien darauf entwickeln in solchen Formaten liturgisch zu handeln.

Wir tun gut daran im Blick zu behalten, dass auch unter den Bedingungen dieser Transformationsbewegungen Kolleginnen und Kollegen sich beruflich entwickeln wollen. Solange die parochiale Struktur noch wesentliches Strukturelement ist, wird es zur Normalität werden, dass ein Pfarrer, der sich beruflich umorientiert und eine Gemeinde verlässt, dies mit dem Wissen tut, dass mit gewisser Wahrscheinlichkeit niemand mehr als Nachfolgerin zu gewinnen sein wird. Es kann nicht sein, dass Kollegen sich dann immer mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, „die Gemeinde im Stich zu lassen“. Wenn diese Dynamik einsetzt, verliert der Pfarrberuf an Attraktivität und die quantitativen Entwicklungen werden sich noch mehr verschärfen. Wenn einzelne Kolleginnen laufend haftbar gemacht werden für gesamtkirchliche Prozesse, ist das der Tod im Topf.

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Foto: Christian Lademann

Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.


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