Geschätzt auch bei Kirchenfernen

Wie Soldaten und Soldatinnen zur Militärseelsorge stehen
Militärseelsorge im Einsatz
Foto: Roger Töpelmann

Nur etwa 50 Prozent der Soldaten und Soldatinnen in der Bundeswehr sind Mitglied einer Kirche. Aber über 90 Prozent finden es gut, dass es eine Militärseelsorge gibt. Zu diesem Ergebnis kommt eine gemeinsame Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam und des Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland. Diese Studie soll zwar noch bis 2024 ausgewertet werden, einen ersten Einblick lieferte aber bereits der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg

Bei einem Vortrag im Potsdamer Zentrum sagte Felmberg, dass die Präsenz der Militärseelsorge in der Bundeswehr von 91 Prozent der Soldatinnen und Soldaten gutgeheißen werde. Gut die Hälfte habe ihre Angebote bereits in Anspruch genommen und würde dies auch wieder tun. Im Vergleich zu 2013 hat sich die Zahl derer, die die Angebote in Zukunft erstmals oder wieder in Anspruch nehmen würden, sogar um 12 Prozentpunkte erhöht. Felmberg sagte dazu: „Seit drei Jahren ist die Bundeswehr im Ausnahmezustand.“

Erst durch Corona, dann sei die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal gekommen. Gerade die Einsatzkontingente seien abgeschottet gewesen. Sie hätten schon vor dem Einsatz in Quarantäne leben müssen. Soldaten hätten nicht nicht ohne Weiteres ins Homeoffice wechseln können. Schließlich sei der Abzug aus Afghanistan hinzugekommen. Seit eineinhalb Jahren tobe der Ukraine-Krieg und die Gefahr, dass er sich auf NATO-Gebiet ausweite. Schon heute würden Truppenteile immer wieder an die NATO-Außengrenzen verlegt. In Einsätzen liege die Zustimmung zur Präsenz der Militärseelsorge sogar bei 95 Prozent: „Eine einhellige Zustimmung“ so Felmberg.

Weniger Austritte

In der Bundeswehr gehören etwa 50 Prozent der Soldaten und Soldatinnen einer christlichen Kirche an. Angesichts schwindender Mitgliederzahlen in beiden großen Kirchen sei das ein guter Wert, betonte der evangelische Militärbischof. 28 Prozent Soldaten evangelischer und die 22,1 Prozent katholischer Konfession, die Kirchensteuer zahlen - das ist ein bereits über viele Jahre recht stabiler Wert, der von den hohen Austrittszahlen in den Großkirchen abweicht. Die Austrittszahlen der Bundeswehrangehörigen aus ihren Kirchen sei seit 2018 also weitaus niedriger als in den Kirchen: 1,3 Prozent bei den Protestanten und 0,5 Prozent bei den Katholiken

Doch auch in der Bundeswehr geben 44 Prozent der Soldaten und Soldatinnen an, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören. Aber auch da begrüße man generell die Anwesenheit der Militärseelsorge. Gottesdienste und Andachten erfreuten sich einer bemerkenswerten Beliebtheit, ganz besonders in den Auslandseinsätzen. Immerhin 57 Prozent derer, die in Auslandseinsätzen waren, haben an Gottesdiensten, Andachten oder Gedenkveranstaltungen teilgenommen. 16 Prozent der an Einsätzen Beteiligten geben an, Räume der Stille zu Besinnung oder andere Angebote der Seelsorge schon einmal genutzt zu haben.

"Afghanistan noch nicht ageschlossen"

Felmberg machte darauf aufmerksam, dass die Ehrenhaine der Bundeswehr und die aus den Einsätzen rückgeführten Kapellen wie das „Haus Benedikt“ aus Masar-i-Sharif dabei eine wichtige Rolle spielten: In Schwielowsee bei Potsdam der Wald der Erinnerung. Schließlich werde am Ehrenmal der Bundeswehr im Verteidigungsministerium in Berlin die gesellschaftliche und politische Verantwortung betont. Fast jeder Soldat habe schon einmal mit seinen Gefühlen von Wut, Angst und Trauer an so einem Ort gestanden. „Gefühle, die nicht einfach vorbei sind, wenn man aus dem Einsatz zurückkehrt. „So gesehen, ist Afghanistan noch lange nicht abgeschlossen“, stellte Felmberg fest.

Das hohe Ansehen der Militärseelsorge in der Bundeswehr hängt auch mit ihrer Hilfe für traumatisierte Soldaten oder Soldatinnen zusammen, für die sich beide Kirchen schon früh eingesetzt haben. Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) haben ihre Ursache in militärischen Einsätzen in Afghanistan, dem Kosovo und Mali; sie treten teils erst Jahre nach den Ereignissen auf. Oft werden sie mit dem Einsatz von Pferden oder Hunden therapiert. Felmberg sagte zu den psychischen Einsatzfolgeerkrankungen, sie hätten massive Anfragen an das soldatische Selbstbild gestellt und „das Eingeständnis, dass im Einsatz Dinge passieren, die nicht verfügbar, nicht steuerbar sind.“

In der Bundeswehr gibt es ein nachweisbar großes Interesse an ethischen Themen, die im sogenannten Lebenskundlichen Unterricht (LKU) von den Militärseelsorgern und Militärseelsorgerinnen vermittelt werden: Acht von zehn Soldaten haben bereits an diesem Unterricht teilgenommen (81 Prozent) und bewerten ihn positiv. Nur 4 Prozent äußern sich negativ. Der Unterricht bietet einen geschützten Raum, in dem sich Soldaten zu vielen Fragen der Lebensführung und des Dienstes äußern können. „Damit ist er ein wichtiger Beitrag zur Inneren Führung“, so Felmberg.

Offene Fragen

Rund 7.000 Soldatinnen und Soldaten haben sich an der Repräsentativbefragung zu„Seelsorge und Religion in der Bundeswehr“ beteiligt. Die Studie wurde 2018 noch von der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit angestoßen und von der Evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr mit Unterstützung des Bundesministeriums der Verteidigung und der Katholischen Seelsorge vorangebracht. Sie schließt inhaltlich-methodisch an aktuelle kirchen- und religionssoziologische Forschung sowie an vorangegangene Untersuchungen in der Bundeswehr an.

Im Konzept der Expertise „Militärseelsorge als Kirche auf Zeit“ mit ihren ersten Ergebnissen bleiben gleichwohl einige Fragen offen: Denn Beteiligungsfragen der katholischen Soldatenseelsorge und der jüdischen Militärseelsorge sind noch offen. Eine Lastigkeit zur Seite der Protestanten ist unübersehbar. Die katholische Seite trägt jedoch an den Standorten und in den Auslandseinsätzen, künftig auch in den permanenten Stationierungen von Truppen an der NATO-Ostflanke, eine ebenso schwere Last. Hier müssen im festen Turnus Geistliche entsendet werden, die für Monate am Einsatzort - zum Beispiel in Litauen oder Polen - bleiben. Bei zurückgehendem theologischem Nachwuchs dürften hier nicht nur katholischerseits Besetzungsprobleme entstehen.

Ähnlich herausfordernd darf man sich die Mitarbeit der Jüdischen Seelsorge vorstellen. Die Absicht, die Integration von Rabbinern im deutschen Militär schnell voranzutreiben, hat sich bislang nicht erfüllt. Zu einem großen Teil deshalb, weil es einfach zu wenige Rabbiner gibt, die der Zentralrat der Juden aus den Gemeinden abstellen könnte.

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Foto: privat

Roger Töpelmann

Dr. Roger Töpelmann ist Pfarrer i.R. Er war bis 2020 u.a. Pressesprecher des Evangelischen Militärbischofs in Berlin.


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