An Wunder glauben!

Frieden im Heiligen Land? Eine Utopie, wie der Fall der Mauer und das vereinte Europa.
Foto: epd/Rolf Zöllner

"Wird nie Frieden im Heiligen Land?" Diese Frage stellten wir in dieser Woche sechs kundigen Menschen aus Kirche, Religion und Politik. Hier zum Abschluss der Serie die Antwort von Rabiner Andreas Nachama. 

Als ich 10 Jahre alt war, wurde in Berlin „die Mauer“ errichtet. Die Erwartung mit einem Blick auf die Landkarte und die strategisch unhaltbare geographische Position West-Berlins war, dass die Sowjets sich des Eilands bei nächster sich bietender Gelegenheit einverleiben werden. Noch Anfang der 1980er Jahre - erinnert sei an die Stationierung der Pershing-Raketen – war nicht zu erkennen, dass „die Mauer“ von einer DDR-Protestbewegung mit Kerzen in der Hand tatsächlich ohne „Schwerter“ umgepflügt werden würde.  

Gerade werden wir Zeugen einer schrecklichen Gewalteruption im den drei abrahamitischen Religionen Heiligen Land. Das Töten, das Verschleppen von Kindern, Frauen, Männern aus Israel ist ein Verbrechen und mit nichts zu rechtfertigen. Diese jetzt in Kämpfen zu beklagende Eruption von Gewalt ist das Gegenteil dessen, was das Heilige Land der drei Religionen braucht, nämlich Frieden. Und zwar Frieden für die ganze Region – eine Utopie?

Frieden ist mehr als sichere Grenzen

Ich erinnere mich vor dem Jom Kippur Krieg 1973 mit einer Delegation Berliner Studenten in Scharm El Scheich, das damals israelisch besetzt war, gewesen zu sein. Dort erklärte uns ein israelischer Presseoffizier, dass diese Grenze am Suez-Kanal die sicherste Grenze der Welt sei. Ich wand ein, dass die sicherste Grenze damals die zwischen der Bundesrepublik und Luxemburg sei, wo sich lediglich ein paar Zigarettenschmuggler darauf gefasst machen mussten, von Zöllnern zur Kasse gebeten zu werden. Im Jom Kippur Krieg war diese angeblich sicherste Grenze der Welt einfach überrannt worden, wie jetzt der „Sicherheitszaun“ um Gaza.

Im deutschen Sprachkeis kommt das Wort Frieden vom "Einzäunen" – ein Friedhof ist ein "eingezäuntes Grundstück". Das hebräische Wort "Schalom" stammt von der Wortwurzel "Schin-lamet-mem", das am besten etwa mit "Vollkommenheit" übersetzt werden könnte. In anderen Worten: im deutschen Sprachkeis bedeutet "Frieden", wenn die Grenzen halten, im Hebräischen, wenn auch die, die hinter der Grenze leben, in die Entspannung miteinbezogen sind – im Sinn von "umfassendes Heil".

Mit Gottes Hilfe!

Wer in der Geschichte nicht an Wunder glaubt, kennt die Historie nicht – wäre vor etwas mehr als hundert Jahren denkbar gewesen, dass Deutschland und Frankreich Gründer- und Geschwisternationen eines vereinten Europas geworden sind. Und übrigens: alle Friedensverträge, die ich kenne, wurden zwischen Feinden geschlossen. Ich höre schon die Einwürfe der Sorgenträger aller Seiten: Ein solches Szenario sei im Nahen Osten eine Utopie!

Wie stelle ich mir also Frieden im Heiligen Land vor? Dass Grenzen so bedeutungsvoll sind wie zwischen Deutschland und Luxemburg heute, dass Israelis und Palästinenser geschwisterlich miteinander wohnen, ja dass außer beim Gang in die Synagoge, in die Moschee oder Kirche Religion und Herkunft oder Nationalität keine Rolle spielen, dass säkulare Israelis, die keine Hochzeit von einem Geistlichen wollen an den Strand von Gaza fahren, um dort (wie jetzt auf Zypern) standesamtlich heiraten können. Mit Gottes Hilfe wird so Frieden im Heiligen Land!

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Foto: epd/Rolf Zöllner

Andreas Nachama

Prof. Dr. Andreas Nachama ist Rabbinischer Leiter des Abraham-Geiger-Kollegs und Rabbiner im Präsidium des House of One in Berlin.


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