Instrumente zum Überleben

Auf der Tagung der EKD-Synode in Ulm wirken die Ansichten zum Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten unversöhnlich
Israelische Fahne am Ulmer Rathaus
Foto: Philipp Gessler
Israelische Fahne am Ulmer Rathaus

Die Synodalen der 4. Tagung der 13. EKD-Synode hörten in Ulm ganz Unterschiedliches zum Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten: Pfarrer Oleksandr Gross, Präsident der Synode der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine, forderte Waffen zum Überleben seines Landes. Dagmar Pruin, Präsidentin von „Brot für die Welt“ und der „Diakonie Katastrophenhilfe“, rückte dagegen das Leid der Zivilbevölkerung in den derzeitigen Kriegen in den Vordergrund. Und was hatte Bischof Friedrich Kramer als Friedensbeauftragter des Rates der EKD beizutragen?

Das Rathaus von Ulm, einem mit Szenen aus der Stadtgeschichte üppig geschmückten Gebäude aus der Frührenaissance, hat seit wenigen Wochen einen neuen Schmuck – oder ist dies überhaupt Schmuck? Neben der blau-gelben ukrainischen schmückt nun auch die weiß-blaue israelische Flagge die Touristenattraktion in der alten Reichsstadt, deren historische Altstadt im Zweiten Weltkrieg zu über 80 Prozent zerstört wurde. Ein Synodaler der 4. Tagung der 13. Synode der EKD im Congress Centrum Ulms, 900 Meter entfernt, verweist während einer öffentlichen Aussprache im Plenum mit Wohlwollen auf die demonstrative Beflaggung des Rathauses. Es ist ein Zeichen der Solidarität mit Staaten, die überfallen worden sind und sich verteidigen müssen. Mit Gewalt. Und mit Waffen.

Das ist ein Problem für die Evangelische Kirche in Deutschland, die sich in den vergangenen Jahren auf einen stark pazifistischen Kurs begeben hat: Die Lehre von einem Gerechten Krieg wurde mehr oder weniger deutlich verworfen, ein Gerechter Frieden soll es richten. Das war zumindest bis zum Überfall Russlands auf die Ukraine im Frühjahr vergangenen Jahres die offizielle Linie der deutschen Volkskirche protestantischer Prägung mit ihren rund 19 Millionen Mitgliedern. Was das konkret bedeutet? Nach der hartnäckig vertretenen Ansicht von Friedrich Kramer, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und Friedensbeauftragter des Rates der EKD, nicht zuletzt dies: Die Bundesrepublik sollte keine Waffen an die Ukraine liefern, damit diese sich gegen Russland verteidigen kann.

Mehr als umstritten

Das ist in der EKD mehr als umstritten. Aber Kramers Position bleibt seit mehr als anderthalb Jahren grundsätzlich so, wie sie ist – und ihr widersprach nun auf der Synodaltagung in Ulm deutlich jemand, der da mitreden kann: Pfarrer Oleksandr Gross aus Odessa. Der Präsident der Synode der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine sagte am Montagmorgen im Plenum der Synode: Man brauche in der Ukraine „Instrumente, die im Krieg nötig sind – ohne die können wir uns nicht schützen“.

Das war noch etwas zurückhaltend formuliert. Bei einer Pressekonferenz am gleichen Tag wurde Pfarrer Gross, angesprochen auf Kramers Position als Friedensbeauftragter der EKD, deutlicher: Er unterstrich zwar, in dieser Frage seien „alle Meinungen wichtig“, fügte aber hinzu, ohne Waffen „werden wir nicht überleben“. Nur wenn Russland den Krieg stoppe, sei er noch am gleichen Tag vorbei.

Es gehe hier um die Geschichte ganz Europas, so Pfarrer Gross. Man solle der Ukraine helfen wie in einer großen Familie, denn sein Land sei Teil der europäischen Familie. Die Ukraine habe nur zwei Ziele, nämlich trotz des Überfalls Russlands als Staat weiter zu existieren – und womöglich die von Putin geraubten Gebiete wieder zu befreien. Der zeitgleiche Krieg im Nahen Osten könne womöglich in etwa einem Monat beendet sein, während der Krieg in der Ukraine voraussichtlich dann noch andauern werde. Er hoffe, dass dann auch die Aufmerksamkeit der Welt wieder stärker auf der Ukraine ruhen werde. Gross sagte, er könne verstehen, dass manche in Europa schon „müde“ seien angesichts der immer wieder kommenden Bilder und Nachrichten aus dem osteuropäischen Kriegsgebiet. Aber hier gehe es nun einmal um die gemeinsame Geschichte Europas.

Mitleidlosigkeit macht sprachlos

Stand bei Gross verständlicher Weise der Krieg im eigenen Land im Vordergrund, war es bei Dagmar Pruin eher der Krieg im Nahen Osten. Die Präsidentin von „Brot für die Welt“ und der „Diakonie Katastrophenhilfe“ verurteilte vor dem Plenum der Synode den „genozidalen Überfall“ der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel Anfang Oktober. Dabei wurden über 1.200 Bürgerinnen und Bürger Israels sowie Sicherheitskräfte auf oft bestialische Weise ermordet oder im Kampf getötet. Mehr als 5.400 Menschen wurden verletzt. Rund 250 Israelis wurden von der Hamas in den Gazastreifen entführt, darunter viele alte Menschen und Kinder. Seitdem versucht die israelische Armee, die Hamas mit einer Bodenoffensive im Gazastreifen auszuschalten. Dabei kommen viele unbeteiligte palästinensische Zivilisten ums Leben oder werden verwundet, auch weil sie und ihre Häuser von der Hamas als menschliche Schutzschilde missbraucht werden.

Dagmar Pruin sagte auf der Synodaltagung in Ulm, sie mache immer wieder die „Mitleidslosigkeit“ sprachlos, die sie angesichts des Schreckens im Nahen Osten hierzulande erlebe. Die humanitäre Situation im Gazastreifen sei katastrophal. Die nötige Solidarität mit Israel dürfe kein „Ja, aber“ sein, aber schon ein „Ja – und“. Die Hilfe ihrer beiden Organisationen im Nahen Osten unterstütze alle Bedürftigen dort. Man gehe dabei mit höchsten Qualitätsstandards vor, damit die Hilfe nicht in falsche Hände gelange. „Brot für die Welt“ und die „Diakonie Katastrophenhilfe“ leisteten in vielen Ländern der Welt Hilfe, unter anderem auch in der Ukraine und im Südsudan. Ihre Sorge sei, so Pruin, dass nun viele Kriege auf der Welt nicht mehr die nötige mediale Öffentlichkeit erhielten. Ihr Redebeitrag wurde von den Synodalen mit viel Beifall bedacht.

Wie hat nun der EKD-Friedensbeauftragte die neue Situation zweier zeitgleicher Kriege auf der Synode gewertet? Unmittelbar nach dem Hamas-Massaker Anfang Oktober hatte Friedrich Kramer erklärt: „Die Gewalt gegen Zivilisten und die unzähligen Opfer sind durch nichts zu rechtfertigen.“ Und: „Dieser terroristische Angriff durch die Hamas ist entschieden zu verurteilen.“ Der Landesbischof unterstrich sogar: „Mit Terror kann es keinen Frieden geben.“ Eine leichte Bewegung war bei Kramer auch in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine zu beobachten. In einem evangelisch.de-Interview während der Synodentage sagte er: „Diese Frage zerreißt uns, man kann sie nicht eindeutig beantworten.“ Aus Sicht der EKD sei es keine Bekenntnisfrage, „ob man sich für oder gegen Waffenlieferungen ausspricht, sondern eine Frage der vernunftbasierten ethischen Güterabwägung“. Zum Gaza-Krieg sagte Kramer lediglich, man solle „auch der Trauer um Opfer der Zivilbevölkerung in Gaza Raum geben“.

Friedensvision der Bibel

Immer wieder verschoben wurde im Plenum der Synode Kramers Bericht über die Arbeit der „Friedenswerkstatt“, die die Kirchenversammlung im vergangenen Jahr bei ihrer Tagung in Magdeburg eingesetzt hatte – auch um in einem aufwendigen und langjährigen Prozess vielleicht zu neuen Antworten auf die große Frage nach Krieg und Frieden zu kommen. Spricht es für das brennende Interesse der Synodalen, wenn dieses Thema fast bis an das Ende der Zusammenkunft in Ulm geschoben wurde, weil anderes offenbar wichtiger war? Wie auch immer, jedenfalls erklärte Kramer vor den Kirchenparlamentariern am späten Dienstagnachmittag: Er werde sich in seinem Bericht nicht an den Konfliktfeldern der Erde entlang hangeln, sondern sich auf die bisherige Arbeit der „Friedenswerkstatt“ konzentrieren.

Aber ganz konnte sich Kramer eine Bemerkung zu den Kriegen in der Ukraine und im Heiligen Land dann doch nicht verkneifen. Auch hier sei das biblische Prinzip „Schwerter zu Pflugscharen“ nicht „Schnee von gestern“, so Kramer. Die Friedensvision der Bibel bleibe das Zielbild der Kirche. Nach seinem Eindruck sei nach den bisherigen Tagungen der „Friedenswerkstatt“ das Leitbild des Gerechten Friedens weiterhin tragfähig. Dies erfordere aber noch weitere und präzisere Überlegungen. Was das am Ende bedeutet, wird man voraussichtlich erst in einigen Jahren wirklich beurteilen können. Nur eine Synodale hatte danach das Verlangen, etwas zu Kramers Bericht zu sagen. Es war ein Lob zum Verfahren der „Friedenswerkstatt“. Mehr Redebedarf war nicht.

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