Gemeinsam auf schwerem Weg

Mitglieder des Beteiligungsforums Sexualisierter Gewalt berichten vor der EKD-Synode in Ulm
Mitglieder des Beteiligungsforums auf der Bühne vor der Synode
Foto: epd
Mitglieder des Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt berichteten vor der Synode über ihre Arbeit. v.l.: Matthias Schwarz, Betroffener; Christiane Lange, Betroffene; Kerstin Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck; Nancy Janz, Sprecherin der Betroffenenvertretung des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt; die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst; Detlev Zander, Sprecher Betroffenenvertretung des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt)

Einheitliche Anerkennungsverfahren, regionale Aufarbeitungskommissionen und die Vernetzungsplattform BeNe: Mitglieder des Beteiligungsforums Sexualisierter Gewalt berichten während der Synodaltagung in Ulm über Fortschritte und Neuerungen ihrer Arbeit.

Der Applaus kommt verhalten. Sicher nicht, weil er keine Unterstützung oder Zustimmung signalisieren will, sondern weil die Frage im Raum steht: Darf man klatschen, wenn eine von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche betroffene Frau offen über ihre Sprachlosigkeit, ihr Verstummen spricht. Und davon, dass für Betroffene Sprache Kampf ist, denn „was Worte hat, wird wahr, tut weh“? Wenn sie die Wortgewalt und Wirkmacht der Täter dagegen hält?

Christiane Lange ist Mitglied des Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt. Sie führt am Dienstagnachmittag vor den EKD-Synodalen in Ulm mit sehr persönlichen Worten in den jährlichen Bericht des Forums ein und geht noch einen Schritt weiter. „Nun seid Ihr dran, auszuhalten. Nicht leugnen, nicht bagatellisieren, seid da, hört zu, lasst reden, lasst uns benennen, ohne Widerspruch, zeigt Mitgefühl, erkennt an, die Last, den Schmerz, nehmt ernst und helft, aus tiefstem Herzen.“ Damit nimmt sie die EKD-Synodalen von Beginn an in die Pflicht.

Sechs Arbeitsgruppen

Seit nunmehr eineinhalb Jahren arbeiten die Mitglieder im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in dieser neuen Form, um Aufklärung, Aufarbeitung und Prävention im Bereich der evangelischen Kirche voranzubringen. Das Konzept, die verbindliche Mitarbeit der Betroffenen an allen Entscheidungen und Schritten zur Aufarbeitung von und zum Schutz vor sexualisierter Gewalt zu verbürgen, scheint gelungen. „Das Beteiligungsforum läuft stabil“, sagt denn auch Detlev Zander, Sprecher der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum, in seinem Bericht vor der Synode. Neben acht Betroffenen gehören dem Forum leitende Geistliche und Kirchenjuristen sowie die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, die EKD-Bevollmächtigte Anne Gidion, Maria Loheide von der Diakonie Deutschland sowie Vertreter der Landeskirchen und der zuständigen EKD-Fachstelle an.

Doch wie arbeitet das Beteiligungsforum? Detlev Zander benennt in seiner Rede insgesamt sechs Themen-Arbeitsgemeinschaften (AGs), in denen Entscheidungen, die Verbesserungen für betroffene Personen und eine systematische Aufarbeitung gewährleisten, gefällt werden. Ein Beispiel: Eine AG, die sich mit Disziplinarverfahren beschäftige, arbeite derzeit an einem konkreten Gesetzentwurf. Der Beginn des formellen Gesetzgebungsverfahren sei für das Frühjahr 2024 vorgesehen, kündigt Detlev Zander an.

Oder die Anerkennungsverfahren: „Denn die Anerkennung erlittenen Unrechts ist keine Frage, in der die oft zitierte evangelische Vielfalt gelebt werden kann“, macht Zander in seinem Bericht gleich zu Beginn deutlich. Gerade hier brauche es einheitliche und betroffenensensible Verfahren, an deren Ende eine angemessene Leistung steht, die nach verbindlichen und transparenten Standards festgelegt werde.

Zentrale Norm

Unterstützung vor den Synodalen bekommt Zander von Kirsten Fehrs, stellvertretende Ratsvorsitzende und Mitglied im Beteiligungsforum. Fehrs stellt in Ulm die Reformvorschläge der AG Anerkennung vor: „Vergleichbarkeit und Vereinheitlichung brauchen wir dringend“, sagt die Hamburger Bischöfin. Das Ziel, mit der Musterordnung einheitliche Standards für die Landeskirchen und die diakonischen Verbände geschaffen zu haben, wurde nicht erreicht.  „Wir möchten daher eine zentrale rechtliche Norm auf EKD-Ebene schaffen, mit der Verfahren, Leistungen und Kommissionen in der Zusammensetzung gemeinsam einheitlich geregelt werden.“ Ferner sollen die Betroffenen „vorbehaltlos“ angehört, informiert und begleitet werden, und es soll ein Recht auf ein Gespräch geben. Dazu kommt: Die Kommissionen sollen mehrheitlich mit kirchenexternen Fachpersonen besetzt werden. Und schließlich müssen die Leistungen, wie auch von Zander gefordert, im Rahmen „eines einheitlichen Leistungsmodells und nach einheitlichen Bemessungskriterien“ zuerkannt werden.

Bemerkenswert ist der Erfolg aus der AG „Aufarbeitung“, den die Sprecherin der Beauftragten im Beteiligungsforum, Dorothee Wüst, Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz, benennt. Die „Gemeinsame Erklärung zwischen der Evangelischen Kirche und der Diakonie mit der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, und der bei ihr angesiedelten AG „Aufarbeitung Kirchen“ sei unterschriftsreif und werde am 13. Dezember in Berlin gemeinsam unterzeichnet.

Ziel dieser Vereinbarung ist, verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt im Raum von Evangelischer Kirche und Diakonie zu entwickeln und verbindlich festzuschreiben. Unabhängige regionale Aufarbeitungskommissionen sollen dafür im Bereich der Evangelischen Kirche geschaffen werden. Alle Landeskirchen und diakonischen Landesverbände haben sich zu neun Verbünden zusammengeschlossen. Und: Jeder der neun Verbünde wird eine Aufarbeitungskommission einrichten. Auch dafür gibt es klare Regeln und Vereinbarungen.

Studie "wird wehtun"

Fundierte Erkenntnis über systemische Faktoren, die es Tätern ermöglicht haben, kirchliche und diakonische Schutzräume zu missbrauchen, erhofft sich Dorothee Wüst von der für Ende Januar angekündigten Studie ForuM. Aber sie sagt auch: „ForuM wird weh tun. Wir werden alte Gewissheiten, gewohnte Strukturen und eingeübte Verhaltensweisen überdenken und verändern müssen, ForuM wird uns noch einmal neu, schwarz auf weiß, in Zahlen, Daten und Fakten das von Menschen in unserer Kirche erfahrene Unrecht vor Augen führen.“

Wie wichtig es ist, Worte für dieses Unrecht zu finden, es zu benennen, sich verständlich zu machen, sein Mitgefühl auszudrücken, auch das Leid zu benennen, darauf macht Nancy Janz aufmerksam. Sie ist Sprecherin der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum. Die Vernetzungsplattform BeNe, von Betroffenen für Betroffene konzipiert, soll dabei ein Baustein sein, in dem Betroffene „erst einmal ganz für sich, anonym eine Orientierung bekommen können“. Und vielleicht gehe es darum, Worte zu finden, um überhaupt benennen zu können, was ihnen geschehen ist: Missbrauch an Leib und Seele.

In Foren können sich Betroffene mit anderen Betroffenen austauschen, in öffentlichen Foren Informationen finden oder sich erstmal vertraut machen mit diesem Medium, ergänzt Christiane Lange. Für die Sicherheit in den Foren sollen eine „Hausordnung“, diverse Sicherheitsmaßnahmen und eine Moderation sorgen.

Sicher, der digitale Raum hat seine Grenzen, dessen ist man sich im Beteiligungsforum bewusst. Aber er kann gegen Vereinzelung helfen und Sprachfähigkeit fördern.

Das alles wird nicht von heute auf morgen umzusetzen sein, es bedarf der Gremienbeschlüsse und auch nötiger Finanzen. Doch trotz allen Schwierigkeiten und Kontroversen ist Detlev Zander nach wie vor überzeugt: „Diese Form der Beteiligung ist einzigartig.“

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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