Viele Fragen offen

Der digitale Abschluss der 4. Tagung der 13. EKD-Synode
EKD-Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich und Vizepräses Andreas Lange bei der Fortsetzung der Synodaltagung per Zoom am 5. Dezember in Hannover.
Foto: epd
EKD-Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich und Vizepräses Andreas Lange bei der Fortsetzung der Synodaltagung per Zoom am 5. Dezember in Hannover.

Die Wochen nach der abgebrochenen Tagung der Synode in Ulm waren für die EKD nicht leicht: Rücktritt der Ratsvorsitzenden Annette Kurschus mit internen Konflikten und danach der durch einen Bahnstreik notwendig gewordene digitale Nachklapp der Synoden­tagung. Eindrücke von zeitzeichen-Chefredakteur Reinhard Mawick.

Ob Claus Weselsky, der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, und das Präsidium der EKD-Synode noch mal gute Freunde werden? Jedenfalls war es dem bevorstehenden Streik der Lokführer zu verdanken, dass die 4. Tagung der 13. Synode der EKD Mitte November in Ulm am Morgen des vermeintlich letzten Sitzungstages abgebrochen wurde. Der Grund: Einige Synodale hatten angekündigt, sie würden vorzeitig abreisen müssen – auch wenn die Streikmaßnahmen eigentlich erst für 22 Uhr abends angekündigt waren. Damit schien die nötige Beschlussfähigkeit in Gefahr, denn laut Grundordnung der EKD ist die Synode „beschlussfähig, wenn zwei Drittel der Synodalen anwesend sind“.

So musste die EKD-Synode eine „Ehrenrunde“ drehen, formal waren noch viele Beschlüsse zu verabschieden. Zuerst aber, wen wundert’s, ging es ans Wunden lecken. Denn als sich die Synode zur Fortsetzung am Vorabend des Nikolaustages, am 5. Dezember, in ganz Deutschland vor den Bildschirmen versammelte, waren gerade zwei Wochen nach dem in vielerlei Hinsicht verstörenden Rücktritt von Annette Kurschus vom Ratsvorsitz und als leitende Geistliche der Evangelischen Kirche von Westfalen vergangen. Die Ereignisse in Ulm und in den Tagen danach hatten sich überschlagen (siehe zz 12/2023 und www.zeitzeichen.net/node/10814). Und so ganz schienen die „Evangelischen Chaostage“ (FAZ) noch nicht vorbei zu sein, wie der Verlauf der Sitzung zeigte.

Zunächst würdigten die beiden EKD-Spitzenfrauen Anna-Nicole Heinrich, die Präses der Synode, und die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, seit dem Moment des Kurschus-Rücktritts amtierende Ratsvorsitzende der EKD, die Zurückgetretene deutlich ausführlicher als zuvor geschehen. „Wir sind Annette Kurschus von Herzen dankbar für ihr großes Engagement, mit dem sie über viele Jahre hinweg an herausgehobenen Stellen segensreich für die evangelische Kirche gewirkt hat“, so die Präses. „Wir sind ihr dankbar für die gute Zusammenarbeit zwischen Synode und Rat der EKD. Wir sind dankbar für ihre klugen Worte und Anmerkungen in unseren Beratungen als Synode, ihre klaren Äußerungen in der Öffentlichkeit und herausragenden Reden und Predigten. Sie hat sich um unsere Kirche verdient gemacht. Aus diesen Gründen ist der Rücktritt von Annette Kurschus ein schmerzlicher Verlust für uns.“

Ganz so klar und warm hatte sich das zwei Wochen zuvor am Rücktrittstag im November nicht angehört. Da hatte noch die Phrase „mit Respekt zur Kenntnis nehmen“ die offiziellen EKD-Kommentare dominiert. Nun aber würdigte auch die amtierende Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs Annette Kurschus ausdrücklich. Sie habe „echte Hochachtung“ vor der „gradlinigen und konsequenten Entscheidung“ von Kurschus, „von allen leitenden Ämtern zurückzutreten“. Und sie habe mit Annette Kurschus „über acht gemeinsame Ratsjahre und vor allem in den zwei Jahren als Stellvertreterin sehr gern und gut vertrauensvoll zusammengearbeitet.“ Sie empfinde es als „schmerzhaft“, „dass der Umgang mit den Ereignissen in Siegen“ zu „diesem Rücktritt“ geführt habe.

Beide EKD-Spitzenfrauen machten in ihren Statements allerdings auch mehr als deutlich, dass jenseits aller persönlichen Fragen und Opfergänge die Frage der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt jetzt und auch künftig das Topthema im Raum der EKD sein werde. So räumte Heinrich ein, dieses Thema werde zwar „unsere Kirche (…) immer wieder mit Widersprüchen konfrontieren und an institutionelle und persönliche Grenzen“ führen, aber dennoch sei für sie, Heinrich, „immer handlungsleitend, dass betroffene Personen und die Aufarbeitung an erster Stelle stehen müssen“. Dazu habe sich die 13. Synode auch „klar bekannt“ und „diesem Auftrag fühle ich mich auch in meiner Rolle als Präses verpflichtet“.

Klarer Kurs für Aufarbeitung

Noch ausführlicher bettete die amtierende Ratsvorsitzende Fehrs ihr Bedauern und ihre Hochachtung für Kurschus in die Skizzierung der vordringlichen Zukunftsaufgabe der EKD ein. Für „uns als Rat“ bedeute der Rücktritt „in jedem Fall die Verpflichtung, den eingeschlagenen Weg bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt weiter voranzubringen, und das werden wir mit aller Konsequenz tun. Es geht dabei um eine klare Ausrichtung auf Betroffene. Und darum, dass wir als Kirche Gewalt und Grenzverletzungen verhindern und Vorfälle gründlich aufarbeiten. Es geht darum, den klaren Kurs der unabhängigen Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und der Unterstützung betroffener Menschen fortzusetzen. Und es geht darum, daran festzuhalten, dass auf diesem Weg der Aufarbeitung betroffene Menschen systematisch mitentscheiden.“ Fehrs betonte auch, sie habe die gemeinsame Arbeit im Beteiligungsforum „sehr konstruktiv und zielgerichtet“ wahrgenommen.

Wohlwissend, dass die Synodalen nach den „Chaostagen“ eine Menge Rede- und Gesprächsbedarf haben würden, hatte die Synodenpräses bereits in ihrem Eingangsstatement angeboten, dass sowohl das Präsidium, aber auch der Rat der EKD an etwaigen Nachbereitungstreffen der Ulm- und Nach-Ulm-Ereignisse teilnehmen würden. Der Vorteil dieses Angebots, so sei gemutmaßt, liegt auf der Hand: Diese Treffen würden zum einen frühestens ab Januar stattfinden, da würde sich die Stimmung sicherlich weiter beruhigt haben. Und zum anderen finden die Sitzungen synodaler Arbeitsgruppen in der Regel nicht öffentlich statt. Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt, denn auch evangelische Offenheit stößt im institutionellen Raum an Grenzen.

Dann meldeten sich zahlreiche Synodale zu Wort, und es hagelte Kritik! Natürlich nicht, ohne – ganz synodenlike – zunächst ausführlich zu danken und sich etwaigen Vorredner:innen anzuschließen. Besonders hervor tat sich die Hamburger Theologieprofessorin Kristin Merle, die gleich vier ausführliche Punkte vorbrachte, obwohl der erste Redner aus Reihen der Synodalen, Wolfgang Prawitz, als Sprecher der Synodengruppe „Offene Kirche“ eingangs festgestellt hatte, dass „heute“ nicht „der richtige Zeitpunkt sei“, um „über die Situation und alles, was dazugehört“, zu sprechen.

Merle betonte zum Ersten, dass „große Irritationen über den Prozess rund um den Rücktritt der ehemaligen Ratsvorsitzenden“ bestünden und „Verstörungen über den kommunikativen Umgang von Akteur:innen kirchenleitender Organe miteinander“. Das Vertrauen zueinander habe gelitten, denn man habe „von Kontroversen im Rat gehört, von Kontroversen aus der Kirchenkonferenz“. Und schließlich habe man „öffentliche Distanzierungsgesten zwischen Synode, Präsidium und Ratsvorsitzender beobachten“ können, „in deren Dynamik auch die Synode ein Stück weit hineingezogen worden ist“.

Kein „blame game“

Zwar solle es, betonte Merle zweitens, kein „blame game“ der Leitungsorgane geben, aber man müsse „miteinander wieder handlungsfähig“ werden. Dabei gehe es ihr nicht darum, dass die Synodalen „betreut werden“, sondern es müsse ganz handfest über Krisenmanagement und Kommunikationsstrategien geredet werden. Und drittens fände sie es angemessen, „eine die Arbeit der ehemaligen Ratsvorsitzenden wertschätzende gemeinsame Erklärung der Synode zum Rücktritt zu finden“. In diesem Zusammenhang bedauerte sie sehr, dass sich „in dem ganzen Prozess“ vor dem Rücktritt von Annette Kurschus „niemand aus dem Rat mal öffentlich zu Wort gemeldet und ein paar die Situation beruhigende, entschärfende Worte gesprochen“ habe. Viertens schließlich solle diese „Klärung der Dynamiken“ aber nicht vergessen lassen, „dass wir als Kirche eine an den Menschen dienende Aufgabe haben“. Weitere Ausführungen ersparte sie sich und so blieb diese Aussage etwas nebulös.

Geradezu detektivischen Spürsinn entfaltete hingegen direkt im Anschluss die Synodale und Herborner Theologieprofessorin Angela Rinn, die wie Merle „fehlende Transparenz“ beklagte und präzise Aufklärung forderte „auch im Blick auf das, wer wann was gewusst“ habe. Es könne doch nicht sein, so Rinn, dass „wir“, sie meinte die Synodalen, „wieder nur zugucken“.

So und ähnlich, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten, ergingen sich viele Synodale, und im Verlauf der Aussprache wuchs des Beobachters Respekt darüber, dass sich das Präsidium den Tort dieser Aussprache vor aller Welt zugemutet hatte, sieht doch die Geschäftsordnung der Synode durchaus vor, dass auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit getagt werden kann. Im Falle der Westfälischen Landessynode, die nur vier Tage nach dem Rücktritt von Annette Kurschus stattfand, hatte man sich noch für eine nichtöffentliche Aussprache entschieden. Bei der EKD aber scheint zumindest nach den unglücklichen Tagen in und nach Ulm eine neue Offenheit eingezogen zu sein.

Herauszuheben aus den Wortmeldungen ist sicherlich der Beitrag der badischen Landesbischöfin Heike Springhart, die noch einmal das schwierige Terrain der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Raum der EKD in den Blick nahm. Sie warnte vor dem verständlichen Bestreben, hier „Eindeutigkeit“ herzustellen. Zwar gäbe es „gewiss Eindeutigkeit in der Frage, wer ist Täter, wer ist Opfer“. Auch gäbe es „die große Eindeutigkeit und Entschiedenheit, dass Betroffenen geglaubt wird“ und dass Raum geschaffen werden müsse, „dass sich die Betroffenen trauen zu sprechen und erleben: Sie werden ernst genommen.“ Gleichzeitig aber betonte Springhart, dass die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt auch „den klaren und ruhigen Blick“ brauche, „die Besonnenheit und das klare Hinsehen“. Und das habe, so Springhart, „nichts mit Zögern, Zaudern und Vertuschen“ zu tun, sondern mit dem „Ernstnehmen der komplexen Dynamik“, die die Arbeit mit dem Beteiligungsforum mit sich bringe. Diese könne nicht darüber gelöst werden, „dass Einzelne von uns zum Rücktritt genötigt werden“.

Nach dieser emotionalen Eingangsstunde der (Selbst-)Kritik wandte sich die Zoom-Synode den zahlreichen Beschlüssen zu, die ohne besondere Vorkommnisse – ganz synoden-like – einstimmig oder mit wenigen Gegenstimmen oder Enthaltungen verabschiedet wurden. Die Synode tat ihre Arbeit, aber sie erschien jedenfalls bei dieser Sitzung doch tief erschüttert. Viele Fragen, die zum Rücktritt von Annette Kurschus führten, sind noch offen. Die Forum-Studie zur sexualisierten Gewalt im Raum der evangelischen Kirche erscheint jetzt am 25. Januar. Die internen und öffentlichen Herausforderungen werden nicht weniger werden. Da braucht es EKD-seits viel Kraft, Geschlossenheit und gute Nerven (siehe auch Kommentar).

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