Transformation ist ein Euphemismus

Operationen zur Geschlechtsangleichung haben ihre Risiken, sie sollten beachtet werden
Christopher-Street-Day-Demonstration im September dieses Jahres in Erfurt
Foto: picture-alliance/Geisler-Fotopress
Christopher-Street-Day-Demonstration im September dieses Jahres in Erfurt

Transpersonen haben oft eine lange Leidensgeschichte hinter sich, die manche nach meist tiefem Nachdenken dazu motiviert, geschlechtsangleichende Behandlungen vornehmen zu lassen. Dabei sollten jedoch die Nebenwirkungen, die mit solchen Operationen verbunden sind, weder verdrängt noch kleingeredet werden. Diese Eingriffe und ihre Folgen beschreibt die Medizinjournalistin, Buchautorin und Ärztin Martina Lenzen-Schulte.

Es sollte erwachsenen Menschen grundsätzlich möglich sein, geschlechtsangleichende Behandlungen (Transitionen) in das Geschlecht vorzunehmen, das eine Person für sich als einzig stimmig begreift. Denn Transpersonen haben oft eine lange Leidensgeschichte hinter sich, die sie nach meist tiefem Nachdenken zu diesem Schritt bewogen hat. Zugleich sollten jedoch die Nebenwirkungen, die mit solchen Operationen verbunden sind, weder verdrängt noch kleingeredet werden. Formulierungen wie „Ich will meine Brüste zurück“ oder „Mein Penis ist für immer weg, und ich bereue es“ machen derzeit international Schlagzeilen. Ist das nur ungerechtfertigte Panikmache von transphoben Gruppen? Sollen mit Hilfe dieser Einzelschicksale Operationen zur Geschlechtsangleichung schlechtgeredet werden, wie ein Vorwurf gegen diese Berichte lautete? 

Diese Fragen gewinnen zunehmend an Bedeutung, denn die Zahl derer, die ihre Transition von dem einen in ein anderes Geschlecht* bereuen, steigt stetig. (Hier wird mit Begriffen eines binären Geschlechtsverständnisses operiert, weil dieses der Vorstellung derer, die sich einen männlichen Körper anstelle eines weiblichen wünschen und umgekehrt, zugrunde liegt. Auch wenn es zahlreiche andere Konzepte bei Queerpersonen gibt – demi, fluid, et cetera –, kann man die Transitionsoperationen nur so diskutieren.) Wurde lange beschwichtigend behauptet, die wenigsten oder allenfalls einige Prozent hielten inne auf dem Weg in die Transition oder wollten wieder zurück ins alte Geschlecht, zeigen kritische Studien inzwischen, dass der Anteil bis zu einem Viertel betragen könnte. Es werde außerdem erwartbar mehr „De- oder Retransitionierende“ geben, prognostizierte die leitende Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik im finnischen Tampere, Riittakerttu Kaltiala, erst unlängst in einem Interview mit dem schweizerischen Tagesanzeiger

Etablierte Behandlungen

Der Operationsboom hält indes ungebrochen an. So lag die Anzahl der chirurgischen Geschlechtsumwandlungen in Deutschland im Jahr 2012 bei 883, ein Jahrzehnt später bereits bei 2600 – Tendenz weiter steigend. In anderen Ländern verhält es sich ähnlich. Zum Hintergrund: In den meisten europäischen und US-amerikanischen Staaten sind seit Jahren – bei einigen Institutionen und Kliniken bereits seit Jahrzehnten _ geschlechtsangleichende Behandlungen etabliert. Das eröffnet jenen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Therapien, die sich statt des ihnen bei Geburt angelegten und meist so zugewiesenen Geschlechts ein anderes wünschen, weil sie – so die gängige Umschreibung – „sich in ihrem Körper unwohl fühlen“. 

Die Medizin nennt das Genderdysphorie. Der übliche medizinische Dreierschritt beginnt mit Pubertätsblockern, um das Wachstum von Geschlechtsorganen wie Penis und Brüsten zu stoppen. Danach will man mit Cross-Sex-Hormonen (CSH) Merkmale des je anderen Geschlechts hervorrufen – zum Beispiel eine tiefe Stimme, männliche Behaarung –, um schließlich drittens mit angleichenden Operationen – Stichwörter Brustamputation, Penisamputation, Neovagina, Penisprothese – die Transformation körperlich möglichst zu vervollkommnen. 

Aber: Wer sich mit den Nebenwirkungen und Risiken dieser Operationen befasst, wird feststellen, dass der Begriff Transformation ein Euphemismus ist. Die Euphorie darüber, eine Geschlechtswahl mittels Transition körperlich perfekt umsetzen zu können, macht immer mehr einer Ernüchterung Platz. Eine aktuelle Befragung macht deutlich, dass Operationen die Zufriedenheit innerhalb der Transgender-Community keineswegs erhöhen.

Erhebliche Empfindungsverluste

Woran liegt das? Wer Organe amputiert, schafft stets vollendete Tatsachen. Wird die Brustdrüse entfernt – man spricht von Top-Chirurgie statt von Mastektomie – und wünscht ein Transmann später wieder seine ursprüngliche Weiblichkeit zurück, können dies Silikonbrüste zwar rein äußerlich wieder leisten. Die Fähigkeit, ein Kind zu stillen, erlangt diese Person jedoch niemals wieder. Dies führt inzwischen bei etlichen Retransitionierenden zu großem Bedauern und sollte daher zwingend als nicht korrigierbarer Verlust kommuniziert werden. So fordern es inzwischen Hebammen in Australien. Eine Amputation der weiblichen Brüste kommt im Rahmen von Angleichungsoperationen nicht eben selten vor. Denn es sind zu 80 Prozent Mädchen, die sich in die männliche Version ihrer selbst verwandeln möchten. 

Eine Analyse von Gesundheitsdaten aus den USA zeigt, dass sich in einer Beobachtungsperiode von etwa sieben Jahren (Januar 2013 bis Juli 2020) die Zahl von Brustamputationen bei den zwölf bis 17 Jahre alten Mädchen
verdreizehnfachte. Jahrelange Erfahrungen Erfahrungen über Nebenwirkungen hat man seit Jahren. Sie resultieren aus Untersuchungen jener Frauen, die sich zum Beispiel wie Angelina Jolie wegen ihres genetischen Brustkrebsrisikos ihre Brüste haben amputieren lassen. Daher weiß man, dass ein solcher Eingriff häufig mit erheblichen Empfindungsverlusten einhergeht. Insbesondere die Brustwarze kann ihre stark ausgeprägte Sensibilität verlieren. Dieses Risiko ist bei Entfernung der Brustdrüse viel höher als bei Brustvergrößerungen. Zu bedenken ist außerdem, dass Menschen, denen eine Gliedmaße nach einem Unfall entfernt wurde, mitunter noch Schmerzen in diesem Bein oder Arm empfinden, so als wäre dieses Körperteil noch vorhanden. Derartige Phantomgefühle kommen nicht nur nach Brust-, sondern auch nach Penisamputationen vor – manche der vom Mann-zur-Frau-Transformierten berichten, sie wachten auf und hätten das Gefühl, ihr Glied sei noch immer da.

Hinzu kommt, dass die Operationen unter der Gürtellinie weit komplikationsträchtiger sind als Mastektomien. Wer aus einer weiblichen Genitalzone eine männliche machen möchte, muss sich der Tatsache stellen, dass die Sinnlichkeit des weiblichen Körpers die des männlichen um Größenordnungen übertrifft: Die erogene Beckenbodenzone einer Frau ist dicht mit erregbaren Antennen bestückt. Wollustkörperchen und andere Sensoren verdichten sich an der Klitorisspitze zu rund 8 000 bis 10 000 an der Zahl. Sie sind dort doppelt so eng angeordnet wie an der Peniseichel, die zudem eine viel größere Oberfläche besitzt, was einer Frau im Vergleich zum Mann eine fünfzigfach höhere Sensibilität in ihrem Lustzentrum verschafft – vorausgesetzt, es bleibt intakt. Das lässt sich bei der Umwandlung zum Transmann nicht gewährleisten.

Defekte, Narben, Schwäche

Die Konstruktion eines neuen Penis, die Phalloplastie, verlangt es, Material von einer anderen Körperstelle zu entnehmen, etwa vom Unterarm. Das hinterlässt dort Defekte, Narben und Schwäche, weil ein Teil der Muskeln fehlt. Ein Fünftel bis zu drei Viertel der Patient:innen muss mit Komplikationen aufgrund von Durchblutungsstörungen rechnen, in deren Folge die gesamte Neukonstruktion komplett absterben kann, Nekrose nennt dies die Fachwelt. Das Schicksal der Klitoris sollte jede transitionswillige Frau interessieren. Sie wird bei diesen Verfahren „deepithelialisiert“ und an der Basis des neu geschaffenen Phallus verborgen – beerdigt (burial) heißt der Begriff dafür. Das „Klitoris-Burial“ gibt es auch als krankhafte Variante bei Bindegewebserkrankungen, ein Zustand, der Lust verhindert.

Wenn bei Transformationsoperationen die Klitoris regelrecht gehäutet und danach versteckt wird, wäre es verwunderlich, wenn dieses erogen hochfunktionelle Organ keinen Schaden erleiden würde. Wer die Betroffenen in wissenschaftlichen Studien befragt und ihnen eine Stimme gibt, kann Antworten wie diese protokollieren: „Das erotische Gefühl ist geringer als vor der Operation. Mir war nicht klar, dass meine Klitoris nach der Operation verborgen sein würde, was es weit schwieriger macht, sie zu stimulieren.“

Das sind nicht die einzigen Nachteile. Das neu konstruierte Organ benötigt Schwellkörper für die Versteifung des Glieds und eine Pumpe, die in einem – ebenfalls neu geschaffenen – Hodensack versteckt wird. Im engen Beckenbereich zwischen Harnblase und Beckenring wird ein Reservoir oder Beutel mit wässriger Kochsalzlösung verborgen. Sie wird vom Reservoir in die Schwellkörper gepumpt und kann abgelassen werden, was Erektion und Erschlaffung ermöglicht.

Hoher Versagerquoten

Aber dabei kann viel schiefgehen: Insgesamt werden die Komplikationsraten für Penisprothesen mit Schwellkörpern auf mehr als ein Drittel (36,2 Prozent) beziffert. Mit Problemen bei der Pumpfunktion muss fast die Hälfte (45,2 Prozent) der Operierten rechnen. Das sind Raten, die in jeder anderen medizinischen Disziplin sofort massive Kritik hervorrufen würden. Noch schwieriger wird es, wenn Transmänner im Stehen Wasser lassen möchten – offenbar ein wichtiger Aspekt der Transformation für viele. Die männliche Harnröhre ist rund dreimal länger als die weibliche. Es muss angestückt werden mittels Gewebeverpflanzungen, was in bis zu drei Vierteln der Operierten zu Komplikationen führt, die nicht alle mit Hilfe von erneuten Eingriffen zu beheben sind, hohe Versagerquoten inbegriffen. Wer das vermeiden will, muss den Ausgang der Harnröhre unterhalb des Penisschaftes belassen.

Was wird gemacht, wenn eine künstliche Vagina geschaffen wird? Bei sogenannten genitalen Bottom-Operationen wird die Penishaut von innen nach außen gedreht (Penile Inversion): Das männliche Glied wird gehäutet, daraus ein Schlauch geformt, dieser danach in die Aushöhlung platziert, die zuvor vor dem Anus in den
Beckenboden gebohrt wurde. Mitunter werde – das nennt sich „Penoskrotale Technik“ – noch Haut vom Hodensack oder von anderen Körperregionen hinzugenommen und an den Penishautschlauch angenäht, um adäquate Weite und Länge der neuen Scheide, der Neovagina, zu gewährleisten.Klagen von Betroffenen Dies ist ebenfalls problematisch: Die Klagen von Betroffenen, ihre Neovagina sei zu kurz und zu eng, sollten ernst genommen werden.

Das Problem nimmt offenbar zu, weil inzwischen viele Betroffene vor solchen operativen Eingriffen mit Pubertätsblockern und Cross-Sex-Hormonen behandelt worden sind: Diese bremsen aber das Penis- und Hodensackwachstum aus. Daher steht nicht mehr genügend Gewebe für die Formung einer ausreichend großen Vagina zur Verfügung. Ersatz bietet der Darm, der auch ein schlauchförmiges Organ ist. Wer verlässliche Aussagen zur Ergebnisqualität sucht, wird enttäuscht. Laut Befragungen dehnt fast die Hälfte der Transfrauen ihre Neovagina wöchentlich mit penisartigen Stäben, um sie offen zu halten, denn sie verengt sich sonst wieder. In Internetforen heißt es so ehrlich wie schonungslos: „Ich habe bei mir auch bemerkt, dass es einen riesen Unterschied bei der Tiefe und auch beim Einführen macht, ob ich auf der Toilette war und mich entleert habe oder nicht. Na logisch! Unsere Vagina ist kein Muskel und die älteren Organe haben nun mal Hausrecht! Da muss man einfach kompromissbereit sein! Wenn der Darm voll ist, drückt er natürlich auf unsere Neovagina.“

Unangenehmer Geruch

Zudem ist mit einer Menge unerwünschter, teilweise geruchsintensiver Ausflüsse zu rechnen, insbesondere, wenn Darmgewebe verwendet wurde. Auch dies thematisieren Betroffene in Foren im Internet, in der originalen Schreibweise: „Ja ich weiß bei einer Sigmascheide kommt es zu ständigen Ausfluss und zu unangenehmen Geruch. Mir ist das aber ziemlich egal denn Binden muss ich seit einen 1 Jahr sowieso täglich tragen da ich auch jetzt schon starken Ausfluss habe und riechen tut es jetzt auch nicht gerade nach Rosen.“ Dort ist ebenfalls zu lesen: „Ich mag es nicht, wenn immer wieder gesagt wird, wie toll denn alles sei und wie problemlos. Das sagen sehr viele, egal wer sie operiert hat. Meiner Meinung nach ist das eben nicht wahr. Es ist keine Bio Vagina und eine Neovagina braucht eben viel mehr Pflege, als eine natürliche und ich will, dass das die Menschen wissen. Das sagt dir nur kein Arzt vorher.“

Ein Selbsthilfeverein räumt ein, dass in circa 30 Prozent eine Nachoperation notwendig ist – sei es zur Verbesserung des kosmetischen Ergebnisses oder aufgrund von Komplikationen. Jeder Zehnte müsse mit einer nur geringen Tiefe der Vagina von unter acht Zentimetern rechnen. Zudem könne der Harnstrahl nach der Operation durch Schwellungen oft stark abgelenkt sein oder „gießkannenartig“. Das bessere sich zwar, exakt gerade werde er jedoch nur selten. Ein Viertel der umgewandelten Transfrauen klagt, es wüchsen Haare aus der ehemaligen Penishaut in der Scheide. Die vielen Infekte und der Geruch verwundern kaum, denn die Bakterienzusammensetzung einer Neovagina ist so, als wäre eine natürliche Scheide ständig entzündet. Komplikationen sind umso häufiger, je früher im Leben solche Eingriffe vorgenommen werden.

Eine Schlussbemerkung: Informed consent – die informierte Einwilligung in medizinische Behandlungen – ist ein Meilenstein unserer Medizinkultur. Einwilligen in eine Operation kann nur derjenige, der vollständig über Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt worden ist. Transpersonen haben wie alle anderen Patient:innen das Recht, mögliche dauerhafte Schäden von Angleichungsoperationen gegen den erhofften Nutzen abwägen zu können.
Manche dieser Eingriffe verstümmeln den Beckenboden von weiblichen und männlichen Körpern. Sie machen sie inkontinent, sie verursachen Schmerzen und machen zahlreiche Nachoperationen notwendig. Aber vor allem steht eine lustvolle, befriedigende und erfüllende Sexualität auf dem Spiel. Das sollten alle wissen, die
Angleichungsoperationen für sich erwägen.
 

Wissenschaftliche Publikationsnachweise zu den Aussagen im Text sind über die Autorin erhältlich
(Kontakt über den Blog: www.geburtsrisiken.de).

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