Heilsames Auseinandersetzen

Die Theologin Antonia Rumpf hat über das Fasten promoviert
Antonia Rumpf
Foto: dpa

In den Wochen vor Ostern fasten viele Menschen. Allerdings aus ganz verschiedenen Gründen. Diese hat die Theologin Antonia Rumpf, 31, in ihrer Dissertation „Wozu fasten?“ untersucht und ganz unterschiedliche Motive und Motivationen ausgemacht.

Dass ich am Ende im Studium den Schwerpunkt Theologie hatte, war anfangs gar nicht ausgemacht. Ich stamme zwar aus einem recht kirchlichen Elternhaus und hatte wirklich einen tollen Religionsunterricht in der Oberstufe. Aber mindestes genauso hat mich Literatur interessiert. Insofern traf es sich gut, dass man an der Ruhruniversität in Bochum sowieso zwei Fächer haben muss, wenn man ein geisteswissenschaftliches Bachelorstudium absolviert. Nachdem ich meinen Bachelor in Theologie und Literaturwissenschaft gemacht hatte, habe ich mich ganz für Theologie entschieden. Während des Magisterstudiums bin ich dann ein Jahr an die Universität Durham in England gegangen und habe dort den Master Religion and Society gemacht – eine gelungene, sehr interessante Mischung aus Theologie, Anthropologie und Soziologie.

Im Laufe des Studiums habe ich mich mehr und mehr auf die Praktische Theologie konzentriert, denn mich interessierte die Grundfrage, die man kurz so formulieren kann: Wie ereignet sich Religion in diesem ganzen Wirrwarr von gelebtem Leben? Schon meine Bachelorarbeit habe ich über das Fasten geschrieben, und schon damals fand ich es sehr spannend, dass Fasten erstmal per se gar nichts kirchliches oder christliches ist, sondern eine menschliche Kulturleistung, die seit Jahrtausenden religionsübergreifend zu beobachten ist. Zudem ist Fasten in der deutschen Gesellschaft ziemlich bekannt: Ein großer Teil der Deutschen hat schon einmal gefastet oder kann sich vorstellen, es einmal auszuprobieren. Aber überraschenderweise gab es zur theologischen Betrachtung des Fastens bisher sehr wenig Forschungsarbeiten.

Für die Arbeit an meiner Dissertation kam mir sehr zugute, dass meine Professorin Isolde Karle schon seit längerem mit dem Hamburger Verein „Andere Zeiten“ kooperierte. Der macht neben seiner Aktion „Der andere Advent“ ja auch eine Fastenaktion. „Andere Zeiten“ hat mir großzügig für drei Jahre eine Stelle finanziert, um die Dissertation zu schreiben. Das hat mich von anderen Arbeiten an der Uni sehr entlastet. Fasten kann ja ganz unterschiedlich sein: Zum einen gibt es körperbetonte Praktiken mit totalem Verzicht auf Nahrung oder einzelne Nahrungsmittel, zum Beispiel Fleisch, Süßigkeiten oder Alkohol. Dann gibt es auch Fastenarten, die sind eher Lifestyle-orientiert in ihrer Verzichtslogik: zum Beispiel Verzicht auf Plastik oder auf das Auto. Und es gibt auch Menschen, die gar nicht verzichten, sondern ihrem Alltag etwas hinzufügen, zum Beispiel jeden Tag in der Fastenzeit eine halbe Stunde in der Bibel lesen.

Es ist also ein weites Feld, das in Gänze zu erfassen nahezu unmöglich ist. Man kann nur Schneisen schlagen. Aber die ausführlichen Leitfadeninterviews, die ich mit 17 Menschen geführt habe, ergaben reichlich Material, das ich in meiner Arbeit für eine qualitative Studie auswerte. Die Gespräche fanden teilweise in der Corona-Zeit statt, das war praktisch nicht ganz einfach, denn Interviews via Zoom oder Telefon sind natürlich nicht so schön wie von Angesicht zu Angesicht. Aber ich habe dank toller Befragter trotzdem sehr reichhaltiges, unterschiedliches Material gewinnen können.

Bei der Auswertung habe ich drei Muster herausarbeiten können, nach denen die von mir befragten Menschen ihr Fasten verstanden und praktizierten: Für manche ist die Auseinandersetzung mit Prinzipien ganz wichtig. Das heißt, sie bemühen sich, sie durch ihr Fasten in den sieben Wochen vor Ostern mal deutlich stärker umzusetzen, als sie es sonst im Alltag tun. Für andere ist ihr Fasten eine ganz intensive Selbsterfahrung. Das sind Menschen, die auch mal Sachen ausprobieren, die sie im Alltag nie machen würden. So hat mir eine Interviewpartnerin erzählt, dass sie normalerweise bewusst sehr fleischarm isst, aber in der Fastenzeit hat sie dann mal sieben Wochen Paleo-Diät gemacht, die ja sehr fleischlastig ist. Und in einem anderen Jahr hat sie sieben Wochen komplett auf Zucker verzichtet. Drittens schließlich fand ich in meiner qualitativen Studie eine Gruppe, deren Angehörige beim Fasten ganz stark auf der Suche nach Beziehung sind. Bei denen spielten also Fastengruppen eine große Rolle. Aber es ging neben der Beziehung zu anderen Menschen durchaus auch um die Beziehung zu Gott. Die erleben diese Befragten während der Fastenzeit als intensiver und tiefer.

Generell habe ich bei allen meinen Gesprächen, so unterschiedlich sie im Einzelnen auch waren, erfahren, dass beim Fasten auch immer wieder Probleme bearbeitet werden, unter denen die Fastenden leiden. Zum Beispiel leiden sie darunter, dass sie eben oft im Alltag das nicht umgesetzt kriegen, was sie eigentlich für gut und richtig für sich oder für die Gesellschaft, ja für die Welt halten. Dass es mit der gesunden Ernährung nicht immer so klappt, wie sie es eigentlich wollen. Oder dass sie nicht genug Zeit für intensive Beziehungen haben. Deswegen ist es auch für die meisten eine gute, stärkende Erfahrung, wenn sie merken: „Ja doch, wenn ich mich mal sieben Wochen wirklich am Riemen reiße, dann schaffe ich das auch.“ Und diese Erfahrung von Selbstwirksamkeit hilft ihnen dann auch langfristig, damit umzugehen, dass es nicht immer klappt. Insofern hat die Fastenzeit auch etwas sehr Gnädiges, weil das sieben Wochen sind, und die sind begrenzt. Nicht wie so ein Neujahrsvorsatz, der ja in eine offene, praktisch unendliche Zukunft gefasst wird.

Letztlich ist Fasten eine tätige Auseinandersetzung mit der menschlichen Fehlbarkeit und Verwundbarkeit. Darum kreist ja auch das Geschehen von Kreuz und Passion, und es gibt eine große Überschneidung zwischen Themen, die Menschen in die Fastenzeit mitbringen und theologischen Themen, die in der Passionszeit und Ostern wichtig sind.

Insofern glaube ich, dass es in diesem Themenfeld auch ganz praktisch eine Menge Möglichkeiten für Gemeinden gibt, Gruppen oder Veranstaltungen anzubieten, in denen das Fasten, in welcher Weise auch immer, entdeckt werden kann: Wo finden wir diese Überschneidungen und wo bringen wir sie zum Klingen? 

 

 

Die Dissertation von Antonia Rumpf „Wozu fasten? – Eine empirische Theologie moderne Fastenpraktiken in Deutschland“ ist 2023 im Verlag transcript in Bielefeld erschienen  (238 Seiten, Euro 44,–).

Aufgezeichnet von Reinhard Mawick

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