Was von Ostern bleibt

Eine Antwort auf Hans-Jürgen Benedicts Artikel in der Karwoche
Auferstehung Christi in der Wallfahrtskirche in Bad Dürrnberg, Land Salzburg (Österreich).

Aus Anlass des bevorstehenden Osterfestes erschien am vergangenen Mittwoch auf zeitzeichen.net ein Artikel von Hans-Jürgen Benedict, in dem dieser sich mit der Frage beschäftigt, auf welchen Grund sich die christliche Hoffnung heute noch gründen kann („Mut zur Zuversicht“). Der Zürcher Theologe Johannes Fischer antwortet und widerspricht dem Beitrag seines Hamburger Kollegen.

Ausgangspunkt des Artikels von Hans Jürgen Benedict ist eine kritische Relektüre von Jürgen Moltmanns Buch „Theologie der Hoffnung“, das vor 60 Jahren erschienen ist und damals großen Einfluss in Theologie und Kirche ausübte. Es rückte die Eschatologie ins Zentrum der Theologie, und zwar nicht im traditionellen Sinne einer Lehre von den letzten Dingen, sondern im Sinne einer theologischen Wirklichkeitskonzeption, für die die Zukunft die entscheidende Zeitdimension ist und daher die Hoffnung die der Realität angemessene Orientierung und Verhaltenseinstellung ist. Ihren Grund hat die Hoffnung bei Moltmann in der „Wirklichkeit der Auferweckung Christi“ und somit in der „Zukunft des Auferstandenen“.

Hierauf vor allem bezieht sich die Kritik von Hans-Jürgen Benedict. Weil sie den Glauben an die Auferstehung Christi voraussetze, könne Moltmanns Theologie der Hoffnung heute nur noch begrenzt Menschen helfen, in Situationen der Not und Verzweiflung Hoffnung zu schöpfen. Denn viele Christen „können und wollen ein supranaturales Ereignis wie die Auferstehung von den Toten nicht mehr glauben.“ Benedict vergleicht die heutige Situation mit jener der Christen in Korinth, die an der Auferstehung zweifelten und denen Paulus antwortete (ich zitiere Benedict): „Ist Christus nicht auferstanden, so ist meine Predigt vergeblich so sind wir die elendsten unter allen Menschen“. Paulus würde hier nach dem Motto argumentieren, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. „Weil die Leugnung der Auferstehung uns den Boden unter den Füßen wegziehen würde, ist sie falsch. Also: es muss wahr sein, weil die Situation sonst hoffnungslos ist. So löst Paulus das Problem des Zweifels an der Auferstehung. Damit aber kommt er heute nicht mehr durch, denn viele Christen glauben nicht mehr an die leibliche Auferstehung Christi, sie bleiben trotzdem Christen.“

Die Hoffnung dieser an der Auferstehung zweifelnden Christen muss sich daher auf einen anderen Grund gründen. Ja, dies gilt nicht nur für sie, sondern für die christliche Hoffnung überhaupt. Denn für Benedict steht fest: „Aber es gibt kein leeres Grab.“ Deshalb befindet sich im Irrtum, wer seine Hoffnung auf die Auferweckung Christi gründet. Was aber könnte dieser andere Grund der Hoffnung sein? Für Benedict liegt er im Ethischen, nämlich in der „Kooperation von Gott und Mensch im hoffenden Handeln“: „Gott ‚handelt‘ im asozialen Weltprozess für mehr Gerechtigkeit und braucht dazu unsere Kooperation. Ob die Hoffnung auf Weltveränderung sich bewährt, ist mit von uns abhängig.“ Dabei sollte sich, anders als bei Moltmann, unser Blick nicht in die Zukunft richten, sondern in die Vergangenheit mit ihren ökologischen Zerstörungen und Auswirkungen auf den Klimawandel. Denn von hier gehen die Imperative für das Handeln in Gegenwart und Zukunft aus. 

Nur noch Rituale des Kirchenjahrs?

Man fragt sich am Ende der Lektüre dieses Textes, was dann von Ostern übrigbleibt. Gewiss, es ist die Rede von den Ritualen des Kirchenjahres, zu denen das Osterfest gehört, von den „von Jugend an gesungenen Liedern und Psalmen“ oder von der Auferstehung als „symbolischem Geschehen, das die Wende vom Tod zum Leben ausdrückt“. Doch was da gefeiert und besungen wird, das hat es in Wahrheit nie gegeben, und es kann daher für heutige Christen nicht mehr Grund ihrer Hoffnung sein. Daher spielt es auch keinerlei Rolle bei dem, was nun Grund der Hoffnung sein soll, nämlich bei der „Kooperation von Gott und Mensch im hoffenden Handeln“. 

Ist der Osterglaube also ein für alle Mal passé? Ich will meine diesbezüglichen Zweifel an Benedicts zentraler Feststellung verdeutlichen: „Aber es gibt kein leeres Grab.“ Das ist ein Urteil, das heißt, eine Aussage, für die der Anspruch erhoben wird, dass sie wahr und dass mithin das Ausgesagte eine Tatsache ist. Dieses Urteil dient in Benedicts Argumentation dazu, das gegenteilige Urteil zu bestreiten, nämlich dass Christus von den Toten auferweckt worden ist. Die Frage ist nur: Wer soll dieses Urteil aufgestellt und vertreten haben? Gegen wen also richtet sich Benedicts Kritik? Paulus hat nirgendwo ein solches Urteil aufgestellt, auch nicht in 1. Korinther 15, 12-20, dem Text, auf den Benedict sich bezieht. Und auch sonst findet sich in den neutestamentlichen Texten nirgendwo ein derartiges Urteil. Die Bibel spricht von der Auferstehung Jesu Christi nicht in der Sprache des Urteils. Die Welt des urteilenden Denkens ist, wie gesagt, die Welt der Tatsachen. Von dieser Art ist das wissenschaftliche Weltbild. Diese Welt ist der Bibel fremd.

In der Bibel kommt die Auferstehung in der Form der Erzählung zur Sprache. Das hat seine Erklärung darin, dass die Bibel nicht von der Welt der Tatsachen, sondern von der Lebenswelt handelt. Damit ist die Welt gemeint, wie sie von Menschen erlebt wird. Was wir erleben, das teilen wir anderen mit, indem wir davon erzählen. Erzählungen artikulieren Sinnzusammenhänge, in denen das Einzelne seinen Sinn von seiner Einbettung in alles andere her bezieht. Um sich das an einem Beispiel zu verdeutlichen, stelle man sich vor, von der Erzählung, die von Jesu Gang auf dem See Genezareth berichtet (Matthäus 14, 22-33), wäre lediglich der Satz überliefert: „Und Jesus ging auf dem See.“ Wir würden den Satz nicht verstehen, weil der Kontext fehlt, von dem her das, was Jesus tut, seinen Sinn bezieht. Liest man den Satz „Jesus ging auf dem See.“ hingegen als ein Urteil, also als Aussage, für die der Anspruch erhoben wird, dass sie wahr und das Ausgesagte eine Tatsache ist, dann braucht es keinen Kontext und wir verstehen sofort. Der Satz behauptet dann, dass Jesus auf dem Wasser ging. Das ist die Lesart, von der in aller Regel die Debatten über Wunder und über die Auferstehung Jesu Christi bestimmt sind. Alles dreht sich dann um die Frage, ob es sich hierbei um (historische) Tatsachen handelt.[1] 

Lebenswelt und Tatsachenwelt

Damit ist ein wichtiger Unterschied zwischen der Lebenswelt und der Tatsachenwelt des urteilenden Denkens ins Blickfeld gerückt. Die Lebenswelt ist sinnhaft strukturiert, während die Tatsachenwelt des urteilenden Denkens – man denke noch einmal an das wissenschaftliche Weltbild – aus sinnneutralen Tatsachen besteht. Letzteres hat seinen Grund darin, dass es bei Urteilen nicht um das geht, was geschieht, sondern um die Wahrheit von Aussagen über das, was geschieht. Daher bleibt hier der Geschehenszusammenhang ganz außerhalb des Blickfelds, der bei einer Erzählung vor Augen ist und in dem die Sinnhaftigkeit dessen angelegt ist, was geschieht.

Dieser Unterschied zwischen Lebenswelt und Tatsachenwelt schlägt sich in einem unterschiedlichen Seinsverständnis nieder. Für das urteilende Denken bedeutet „sein“: Tatsache sein, existieren. In lebensweltlicher Perspektive bedeutet „sein“: zum Sinnzusammenhang der Lebenswelt gehören, wie er hier und jetzt erlebt wird; wobei dieser Sinnzusammenhang auch die Lebenswelt von gestern mitumfasst, die hier und jetzt als erinnerte Geschichte gegenwärtig ist. Einzelne Ereignisse beziehen ihre Plausibilität als etwas, das „ist“ beziehungsweise geschehen ist, aus ihrer kohärenten Einbettung in diesen Sinnzusammenhang. 

Von dieser Überlegung her fällt Licht auf die Argumentation des Paulus in 1. Korinther 12-20. „Ist Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt leer (griechisch: kenos), so ist auch euer Glaube leer … so sind wir die elendesten unter allen Menschen“ (1. Korinther 15,14.19): Das, wofür Paulus hier argumentiert, ist nicht der Glaube an die Auferstehung als sinnneutrale Tatsache, also der Glaube an die Wahrheit der Aussage, dass Christus auferstanden ist. Es geht vielmehr um den Glauben, dass Christus auferstanden ist, so wie dies von ihm erzählt wird. Paulus argumentiert für diesen Glauben, indem er verdeutlicht, dass die Auferstehung Christi konstitutiver Bestandteil des Sinnzusammenhangs derjenigen Lebenswelt ist, auf die er und seine Adressaten in Korinth sich eingelassen haben und in der ihre Hoffnung gründet. Im Hintergrund seiner Argumentation steht das lebensweltliche Seinsverständnis, wonach „ist“, was zum Sinnzusammenhang der Lebenswelt gehört, in der Menschen leben und sich orientieren. In diesem Sinne „ist“ die Auferstehung Jesu Christi. So begriffen ist der Auferstehungsglaube kein Glaube an eine Tatsache, sondern ein Sich-Einlassen auf den Sinnzusammenhang einer Lebenswelt, zu deren erinnerter Geschichte als konstitutiver Bestandteil die Auferstehung Christi gehört. 

Auf Sinnzusammenhang einlassen

Für dieses Sich-Einlassen aber gibt es nur einen Grund, nämlich dass man an dieser Lebenswelt teilhaben möchte, und zwar wegen des Sinnes, der sich in ihr dem eigenen Leben vermittelt. Insofern ist es völlig zutreffend, dass der Auferstehungsglaube ein voluntatives Moment, ein Moment bewusster Entscheidung enthält. Aber diese Entscheidung bezieht sich nicht darauf, für wahr zu halten, dass Christus auferstanden ist. Das wäre der Tatsachenglaube, als den Benedict den Auferstehungsglauben versteht: „Also: Es muss wahr sein, weil die Situation sonst hoffnungslos ist.“ 

Es geht vielmehr um die Entscheidung, sich auf den Sinnzusammenhang einzulassen, zu dem die Auferstehung Christi als konstitutiver Bestandteil gehört, und solches Sich-Einlassen geschieht dadurch, dass man die Welt und das eigene Leben als Teil dieses Sinnzusammenhangs zu verstehen sucht, also von der Verkündigung und dem Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi her liest. 

Paradigmatisch für solches „Lesen“ ist die Theologie des Paulus. So, wenn er im Blick auf das, was ihm widerfährt, schreibt: „Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde.“ (2. Korinther 4,8-10)

Nur sinnneutrale Tatsachen?

Solches „Lesen“ der Welt und des eigenen Lebens fällt nicht einfach zu. Man muss sich darin einüben. Insofern ist der christliche Glaube ein ständiges, immer wieder neues Lesen-Lernen, das immer wieder auch Anfechtungen (im Unterschied zu Zweifeln) ausgesetzt ist durch Schicksalsschläge und Wendungen, die das eigene Leben nimmt. Dabei gibt es viele Lesarten, viele Weisen, wie die Verkündigung und Geschichte Jesu im Leben von Menschen resonant werden kann. Und gewiss gibt es auch vieles, was bei heutigen Menschen nicht mehr resonant wird, weil es mit Vorstellungen verknüpft ist, die wir nicht mehr teilen. 

Mit alledem soll nicht gesagt sein, dass Christen an die Auferstehung Christi glauben „müssen“ und dass, wer dies nicht kann, kein Christ ist. Es ging bei den vorstehenden Überlegungen lediglich darum, der These Benedicts zu widersprechen, dass der Glaube an die Auferstehung Christi heute nicht mehr möglich ist, da doch Tatsache ist, dass es kein leeres Grab gibt. Diese These beruht auf dem Seinsverständnis des urteilenden Denkens, wonach wirklich ist, was Tatsache ist. Wie gesagt, besteht die Wirklichkeit hiernach aus lauter sinnneutralen Tatsachen. Das hat die Implikation, dass die Lebenswelt, also die Welt, wie sie erlebt wird, nicht wirklich ist, weil sie nicht in der Form des Urteils, sondern in der Form der Erzählung zur Sprache kommt. In diesem reduktionistischen Weltbild gibt es nun freilich auch keinen Gott. Oder wie soll Gott in einer Welt sinnneutraler Tatsachen zu finden sein? Damit aber wird auch das hinfällig, was Benedict anstelle des Auferstehungsglaubens als Grund der Hoffnung von Christinnen und Christen vorschlägt, nämlich „die Kooperation von Gott und Mensch im hoffenden Handeln“. Die Hoffnung der Menschen kann sich dann nur noch auf ihr eigenes Handeln gründen.

 

 


 

[1] Vgl. hierzu Johannes Fischer, Ging Jesus über den See Genezareth, in: Ev. Th., 83. Jg. (2023), 431-443,

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Johannes Fischer

Johannes Fischer (Jahrgang 1947) war von 1993 bis 1997 Professor für Systematische Theologie in Basel und von 1998 bis zu seiner Emeritierung 2012 Professor für theologische Ethik an der Universität Zürich und Leiter des dortigen Instituts für Sozialethik.


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