Mit Müll Geld verdienen

Eine preisgekrönte Organisation in Kambodscha sorgt für weniger Abfall und mehr Einkommen
Kambodscha
Foto: Martin Egbert

Die Meere sind voller Plastikmüll. Die Auswirkungen zeigen sich auch am Golf von Siam, wo die Strände von Kunststoff bedeckt sind. Die Menschen von TonToTon arbeiten dagegen an. Martin Egbert und Klaus Sieg haben sie besucht.

Cham Roun braucht nicht weit zu fahren, um das Ausmaß der Plastik-Vermüllung in Sihanoukville zu zeigen. Er stoppt den Wagen an einer der zahlreichen kleinen Buchten der Stadt am Golf von Siam, der einzigen in Kambodscha mit einem Tiefseehafen. Cham Roun klettert eine Böschung hinunter. Und bleibt abrupt stehen. „Hier hatten wir mit einer Sonderaktion erst vor einem Monat sauber gemacht.“ 

PET-Flaschen gehören zu den hochwertigeren Kunststoffen, doch ihre Deckel werden geschreddert.
Foto: Martin Egbert

PET-Flaschen gehören zu den hochwertigeren Kunststoffen, doch ihre Deckel werden geschreddert.

Der Anblick ist schwer zu verkraften. Styropor-Packungen, Tüten, Teller, Becher und Besteck aus Plastik, PET-Flaschen, zerrissene Fischernetze, kaputte Eimer, Müllsäcke, zerborstene Kühlboxen, Flipflops, Windeln und Kinderspielzeug – vom Sandstrand ist kaum etwas zu sehen. Es stinkt. Möwen picken in dem Abfall. Ein Fischer watet durch das schmutzige Wasser und zieht seine Dschunke ans Ufer. Cham Roun nickt ihm schweigend zu.

Vermüllte Meere

Die Meere dieser Welt sind wichtig für Klima und Artenvielfalt. Zudem bieten sie Nahrung für zwei Milliarden Menschen. Doch ihr Zustand verschlechtert sich dramatisch. Neben Überfischung, Erwärmung, Korallensterben und der Abholzung von Mangroven ist daran die rasante Vermüllung schuld. Ungefähr drei Viertel dieses Mülls besteht aus Kunststoffen. Bereits jetzt verschmutzen 150 Millionen Tonnen Plastik­abfall die Meere. Jährlich kommen 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen dazu. Nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) treiben inzwischen auf jedem Quadratkilometer Meeresoberfläche bis zu 18 000 Plastikteile unterschiedlicher Größe.

Vermüllte Strände wie diese reinigt Community Manager Cham Roun
Foto: Martin Egbert

Cham Roun

„Wenn das hier keiner wegräumt, treibt das bald alles auf dem Meer.“ Der Anblick der vermüllten Bucht scheint selbst Cham Roun zu verstören. Eigentlich ist er ein fröhlicher und zuversichtlicher Mensch, um einen Scherz oder kessen Spruch nie verlegen. Jetzt aber wirkt er niedergeschlagen. Doch dann rappelt Cham Roun sich wieder auf und zeigt auf seinem Smartphone Fotos von der Aufräumaktion. „Es war nicht die erste – und wird wohl auch nicht die letzte gewesen sein“, sagt er und klettert wieder die Böschung hoch.

Vermüllter Strand
Foto: Martin Egbert

Vermüllte Strände wie diese reinigt Community Manager Cham Roun (oben) mit anderen und bringt den Kunststoff zur Weiterverarbeitung in die Fabrik von TonToTon.

Cham Roun trägt eine Arbeitsweste mit Reflektoren und Sicherheitsschuhe. Aber er kommt nicht von der Stadtreinigung des 90 000-Einwohner-Ortes Sihanoukville. Er hat zwei Jobs. Neben seiner Tätigkeit als Englischlehrer arbeitet Cham Roun als Community Manager bei TonToTon. Die Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Viet­nam und Kambodscha will die Welt und vor allem ihre Ozeane vor Plastik schützen. Gerade hat die NGO die Plastic Pollution Innovation Challenge des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen gewonnen. Auch wurde sie in das UNESCO-Green-Citizen-Programm aufgenommen. Das Konzept der Organisation ist besonders.

Niemanden zurücklassen

„Wir lassen nichts und niemanden zurück“, sagt der Gründer Barak Ekshtein. Was meint er damit? TonToTon organisiert Menschen und Communities, damit sie gegen Bezahlung Plastikmüll auch dort sammeln, wo die offizielle Entsorgung nicht hinkommt. Das verhilft armen Menschen zu einem Einkommen und füllt eine Entsorgungslücke. Zwar gibt es in Kambodscha eine im staatlichen Auftrag privat organisierte Müllabfuhr. Sie in Anspruch zu nehmen aber kostet Geld. Private Haushalte zahlen zwischen zwei und fünf Dollar pro Abholung. Gewerbe bis zu dreißig Dollar. Vor allem aber ist die Teilnahme an diesem System freiwillig. Zudem wird die Entsorgung nicht überall angeboten. In die schmalen Wege und Gassen von Armenvierteln oder entlegene ländliche Regionen zum Beispiel fährt diese Müllabfuhr nicht. Die Folgen lassen sich im ganzen Land beobachten. Überall brennen und schwelen wilde Müllkippen vor sich hin. Straßen, Felder, Wälder, Flüsse, Kanäle, Ufersäume und Buchten sind extrem verschmutzt. Regen, Wind und Strömungen treiben den Müll ins Meer. „Wenn wir uns nicht um diesen Abfall kümmern, macht es niemand“, sagt Barak Ekshtein. Der Unternehmer kennt sich aus. In seinem Hauptberuf besitzt und leitet er eine Firma, die Tragetaschen und Tüten aus recyceltem Plastik für die Mehrfachverwendung herstellt, für Supermärkte, Möbelhäuser oder andere Abnehmer auf der ganzen Welt.

Weiterverarbeitung in derFabrik von TonToTon.
Foto: Martin Egbert

Was nicht recycelt werden kann, geht zur Verbrennung in die Zementfabrik. Was sich wiederverwerten lässt, wird zu neuen Produkten.

Deswegen weiß er auch, welche Materialien sich für das Recyceln eignen. Und welche leider nicht. Auch die Arbeiter der Müllabfuhr in Kambodscha wissen das. PET-Flaschen oder andere hochwertige Kunststoffe sammeln sie extra in Säcken, die an der Seite ihrer Fahrzeuge hängen. Sie lassen sich gut verkaufen. Recyclingbetriebe in Kambodscha, China oder Vietnam stellen daraus neue PET-Flaschen oder Textilien und andere Produkte aus Plastik her. Auch einzelne Sammler kümmern sich deshalb um diese Materialien. Minderwertige und verschmutzte Plastikabfälle aber lassen sie liegen. Für sie gibt es keine Abnehmer. Ganz im Gegenteil, auch in Kambodscha kostet ihre Entsorgung Geld.

TonToTon aber kauft ihren Sammlern auch diesen Plastikmüll ab. Und transportiert ihn, zusammen mit den recycelbaren Kunststoffabfällen, zunächst in die eigene Material Recovery Facility. Das ist eine Halle am Stadtrand von Sihanoukville. Eine ungepflasterte Straße mit Schlaglöchern führt dorthin. Auch hier schwelen wilde Müllhaufen am Straßenrand vor sich hin. Anders sieht es in der Halle aus. Ein Gabelstapler stapelt Ballen aus gepressten Abfällen in einer Ecke der Halle. Arbeiter entladen Säcke voller Plastikabfälle von einem Lastwagen mit dem Logo der NGO.

Hier werden Platten für den Möbelbau gesägt, die aus recyceltem Kunststoff hergestellt wurden.
Foto: Martin Egbert

Hier werden Platten für den Möbelbau gesägt, die aus recyceltem Kunststoff hergestellt wurden.

Der Abfall wird getrennt und geht drei Wege. Eine Maschine presst die nicht-recycelbaren Materialien zu bunten und schmutzigen Ballen. Dieser Abfall macht weit über zwei Drittel der gesamten von TonToTon gesammelten Menge aus. Er wird in einem Zementwerk verbrannt. Der Abfall ersetzt andere Brennstoffe, seine Asche wird Teil des Zementes. „Dafür müssen wir bezahlen“, sagt Barak Ekshtein. „Aber wir wollen ja nicht nur die Rosinen picken und ausschließlich gewinnbringende Materialien entsorgen.“

Neue Produkte

Was sich aber wiederverwenden lässt, wie zum Beispiel PET-Flaschen, verkauft TonToTon. Aus anderen Materialien stellen die Mitarbeiter neue Produkte her. Hinter Barak Ekshtein sitzt zum Beispiel eine Gruppe Frauen und Männer, die Deckel von PET-Flaschen abdrehen. Die Flaschen werden für den Transport ebenfalls zu Ballen gepresst. Die Deckel verschiedener Farben aber werden gewaschen und in einer ratternden Maschine geschreddert. Aus den geschredderten Deckeln schmilzt und presst eine weitere Maschine Platten, die aussehen wie eine von modernen Künstlern gestaltete Leinwand mit Farbklecksen und -spritzern. An einer Kreissäge fertigen die Mitarbeiter aus diesen Platten Teile für Sitzelemente, Tische, Boxen, Regale, aber auch Wandelemente zum Bau kleiner Gebäude. Etwa in einer Dorf-Schule, rund eineinhalb Stunden mit dem Auto entfernt von hier.

Plastik
Foto: Martin Egbert

 

Doch der Verkauf von recycelfähigen Materialien und Upcycling-Produkten kann nur einen geringen Teil der Aktivitäten der NGO finanzieren. Den Großteil der Finanzierung von TonToTon haben bisher Unternehmen und Organisationen geleistet, die Zertifikate für eine bestimmte Menge eingesammelten, nicht recycelbaren Plastikmüll kaufen. Damit können sie ihren eigenen Plastik-Fußabdruck verbessern oder ausgleichen. Sie können mit den Zertifikaten aber auch unabhängig davon in ihren Nachhaltigkeitsberichten werben oder in PR-Kampagnen. Bisher haben das Unternehmen wie etwa der italienische E-Bike-Hersteller Nilox oder der Kreuzfahrtanbieter Celebrity Cruises in Anspruch genommen.

Diese Wandelemente einer nahegelegenen Schule waren früher Plastikmüll.
Foto: Martin Egbert

Diese Wandelemente einer nahegelegenen Schule waren früher Plastikmüll.

Die Idee erinnert an das seit einiger Zeit wegen Greenwashing-Vorwürfen in die Kritik geratene System für Kompensationszertifikate für den Ausstoß von Klimagasen. Deshalb schwächelt die Nachfrage auch bei TonToTon. Spendengelder sollen künftig die Lücke schließen. Seit ihrer Gründung 2019 konnte die NGO rund 2 700 Tonnen nicht recycelbaren Plastikabfall sammeln. Das ist gut, aber eine überschaubare Menge. Barak Ekshtein hat das Konzept deshalb auf Umweltbildung und Community-Organisation ausgeweitet. Ein Showroom in der Material Recovery Facility soll informieren und Spendengelder einbringen. Regelmäßig besuchen Schulklassen, Touristen und andere Gruppen die Halle am Stadtrand von Sihanoukville. In einer Gemeinde mit dreihundert Haushalten hat die NGO zudem Mülltrennung eingeführt und die Bewohner entsprechend trainiert. So wird die Community sauber, und TonToTon bekommt besser sortierte Stoffströme.

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