Von ausufernder Bürokratie und der Anonymität der Masse hat Franz Kafka visionär geschrieben und seine drei unvollendeten Romane Der Verschollene, Der Prozess und Das Schloss spiegeln das. Er nannte sie Fragmente, und alle beginnen mit wuchtigen Sätzen, die Literaturgeschichte geschrieben haben. Doch Hand aufs Herz – wer hat über die ersten Kapitel hinaus gelesen? Das Hörbuch Die Romane aus dem Audio Verlag kann Abhilfe schaffen, vorausgesetzt, man bringt Geduld auf, dreißig Stunden und 38 Minuten drei grandiosen Schauspielern zuzuhören, die Kafkas Worten präzise Stimme geben, und das ganz ohne Beiwerk.
„Jemand musste Josef K. verleumdet haben“, öffnet der Prozess. Der promovierte Jurist Kafka stellt hier die Rechtsprechung auf den Kopf: Eine Anklage und ein scheinbarer Freispruch, der keiner ist, führen am Ende zu einer makaberen Hinrichtung. Es ist die ungenannte Aufarbeitung der Auflösung seiner Verlobung mit Felice Bauer.
Der Schlossroman windet sich durch Gedankengänge des Landvermessers und scheitert an einer undurchdringlichen Hierarchie im Gewirr von Gängen und verschlossenen Toren. Der Verschollene ist gleichzeitig eine Geschichte über Amerika, wohin die Erzählstimme den Hörer gekonnt mitnimmt. Im ersten Kapitel des Heizers startet die große Erfolgsgeschichte des Auswanderns im umgekehrten Sinn: Einem fulminanten Beginn folgt der totale Abstieg, wobei alle gesellschaftlichen Schichten durchlaufen werden.
Kafka kann, muss man wieder lesen oder hören, nicht nur in seinem 100. Todesjahr. Er hat die moderne Literatur revolutioniert und ist der Einzige, aus dessen Namen ein Adjektiv wurde: kafkaesk.
Angelika Hornig
Angelika Hornig ist Journalistin und beschäftigt sich vor allem mit kulturellen Themen. Sie lebt und arbeitet in Minden.