Vor uns die Wüste

Jedes Jahr gehen allein durch Versteppung zwölf Millionen Hektar fruchtbaren Bodens verloren
Nach der Antarktis ist die Sahara mit Abstand das größte Wüstengebiet. Foto: dpa
Nach der Antarktis ist die Sahara mit Abstand das größte Wüstengebiet. Foto: dpa
Beinahe 50 Millionen Quadratkilometer – jeder dritte Quadratmeter – sind auf Erden wüst und leer. Tendenz steigend. Warum das so ist, erläutert der Naturwissenschaftler Reinhard Lassek.

Außer in Europa gibt es in allen Erdteilen große Wüsten und Halbwüsten. Diese vegetationsarmen bis völlig vegetationslosen Regionen sind von äußerster Trockenheit, Hitze oder Kälte geprägt und sind daher für eine mensch­liche Besiedlung ungeeignet. Dass sich diese lebensfeind­lichen Zonen zusehends ausweiten, kann einer immer noch rasant anwachsenden Menschheit nicht gleichgültig sein.

Am Anfang, so heißt es in der Schöpfungsgeschichte, war die Erde "wüst und leer". Am Ende, so die Prognose der meisten Ökologen und Klimatologen, wird es wohl auf das gleiche hinauslaufen. Seit Jahrzehnten veröden nicht nur immer weitere Landstriche, sondern auch ganze Meeresre­gionen. Steht also die Oberfläche unseres Planeten sowohl über als auch unter Wasser vor der finalen Verwüstung? Zu alledem steigt auch noch der Meeresspiegel, so dass einigen Inseln und Küstenregionen bereits die Überflutung droht. Unsere Zukunft steht unter dem deprimierenden Motto: Vor uns die Wüste!

Auch wenn dieses Gefühl nur Hochseeseglern oder Hal­ligbewohnern vertraut ist: Wir sind von einer schier endlosen Wüste umgeben – einer Wasserwüste. Unser Planet ist nur deshalb so schön blau, weil er zu 70 Prozent von den Ozea­nen und deren Nebenmeeren überflutet ist. Nur 30 Prozent der Erdoberfläche liegen somit oberhalb des Meeresspiegels. Und davon wiederum ist ein Drittel Wüste oder Halbwüste. Jeder dritte Quadratmeter – zusammengenommen beinahe 50 Millionen Quadratkilometer – sind auf Erden wüst und leer.

Knappe Ressourcen

Kennzeichnend für Wüsten ist vor allem der eklatan­te Mangel an Wasser. Niederschläge sind rar und fallen – wenn überhaupt – nur unregelmäßig und verdunsten sodann rasch. Zudem ist der Boden sowohl klirrender Kälte als auch glühender Hitze schutzlos ausgesetzt. Unter diesen Bedin­gungen kann sich allenfalls eine spärliche Trockenflora, aber keine großflächige oder gar landschaftsbestimmende Vege­tation entwickeln. Dementsprechend knapp sind auch die Ressourcen für Tier und Mensch.

Es gibt Kälte- und Trockenwüsten. Zu den Kältewüsten gehören die Eis- und Felsgebiete der polaren Klimazonen sowie die Hochgebirgsregionen. Die großen Sand-, Stein- und Salzwüsten sind hingegen Hitze- oder Trockenwüsten, die sich insbesondere in subtropischen Klimazonen aus­bilden. Das gilt etwa für die Sahara, die arabisch-persische Wüste, die Gobi, die Kalahari und die zentralaustralische Wüste. Bedeutende Trockenwüsten befinden sich auch in unmittelbarer Küstennähe – etwa die chilenische Atacama und die südwestafrikanische Namib. Weitere Trockenwüs­ten findet man in abgeschlossenen Gebirgsbecken wie etwa dem Great Basin, jenem große Wüstenbecken im Westen der usa, das sich durch mehrere Bundesstaaten zieht.

Die größte aller Wüsten ist die Antarktis. Eine Kältewüs­te von 13,2 Millionen Quadratkilometern, die 90 Prozent des irdischen Eisvolumens versammelt. Die von einer bis zu drei­tausend Meter dicken Eisschicht bedeckten Flächen stellen ein gigantisches Reservoir tiefgefrorenen Wassers dar. Hier weht dennoch ein besonderes trockenes Lüftchen. Denn je kälter die Luft ist, desto weniger Feuchtigkeit nimmt sie auf. Und der antarktische Winter wartet mit Minusgraden von über 70 Grad Celsius auf. Dementsprechend sind viele ant­arktische Gebiete nahezu niederschlagsfrei. Das Wright Val­ley an der Westküste des McMurdo-Sunds gilt sogar als das trockenste Gebiet der Erde. Im Dezember 2000 rutsche an diesem unwirtlichen Gestade der größte jemals gemessene Eisberg ins Meer – ein Koloss von 11 600 Quadratkilome­tern. In der Häufung größerer Eisbergabgänge sehen Klima­forscher denn auch ein starkes Indiz dafür, dass wir uns in einer Phase globaler Erwärmung befinden.

Wind und Sand als Bildhauer

Die größte aller Trockenwüsten – mit einer Fläche mehr als 24-mal so groß wie Deutschland – ist die Sahara. Mit 8,7 Millionen Quadratkilometern bildet sie – nach der Antarktis – das mit Abstand größte Wüstengebiet. Wie auch anderen Orts sind in der Sahara der Wind und Sand die allergröß­ten Bildhauer. Sie erschaffen bizarre Formen von oftmals überwältigender Schönheit. Manche dieser Skulpturen sind durch den immerwährenden Sandschliff zudem noch mit einer harten Glanzschicht übererzogen – dem "Wüstenlack".

Doch die enormen Temperaturschwankungen lassen selbst diese schmucken Skulpturen verwittern. Die wenigen Hoch­ebenen sind entweder mit Gesteinsschutt bedeckte Felspla­teaus oder gigantische Geröllhalden. Die Gebirgsmassive in der Zentralsahara, im Norden des Tschads, gipfeln im 3415 Meter hohem Vulkan Emi Koussi. Doch der überwiegende Teil der Saharalandschaften ist beinahe völlig eben. Jene ausgedehnten Sandbecken mit den sich charakteris­tisch auftürmenden Dünen machen allenfalls ein Fünftel der Sahara aus.

Am höchsten türmen sich die Sanddünen in der Algerischen Wüste auf – bis zu mehreren hundert Metern. Die längste Düne indes ist der libysche Abu Muharek. Ein über fünfhundert Kilometer langer Dünenzug, der insgesamt eine Fläche von sechstausend Quadratkilometern bedeckt. Das extremste Wüstenklima haben die Menschen in Assuan am Nil zu ertragen. In dieser oberägyptischen Region regnet es pro Jahr durchschnittlich nur drei Millimeter. In manchen Jahren bleibt der Regen auch ganz aus.

Überleben in der Todeszone

Auf den ersten Blick sind Trockenwüsten wie die Sahara eine einzige Todeszone: Nachts ist Bodenfrost keine Sel­tenheit, und tagsüber erhitzen sich die Luft auf bis zu 50 und der Sandboden sogar auf bis zu 70 Grad Celsius. Diese enormen Temperaturschwankungen kommen zum einen dadurch zustande, dass der trockene, quarzhaltige sowie luftdurchsetzte Wüstenboden nur wenig Wärmeenergie zu speichern vermag. Zum anderen entweicht die Hitze des Tages mangels einer isolierenden Wolkendecke unverzüg­lich in den nächtlichen Sternenhimmel.

Im Gegensatz zur polaren Kältewüste weist die subtropische Hitzewüste zwar auch einige natürliche Rettungsinseln in Form von Oasen auf. Ansonsten jedoch lebt die Wüste aufgrund einiger sehr spezieller Anpassungen und Überlebenstechniken ihrer Be­wohner. Jene extremen Temperaturschwankungen fördern nämlich nicht nur die Verwitterung des Wüstengesteins, sondern führen auch zu regelmäßiger Taubildung. Dies ist die bescheidene Grundlage allen Wüstenlebens.

Während etwa der saure Boden des südamerikanischen Regenwaldes nur wenige Bakterien enthält, wimmelt es im trockenen und säurearmen Saharaboden geradezu von Mik­roben. Die Pflanzen- und Tierwelt hat gelernt, in der Wüste zu überleben. In der arabischen Wüste genügt ein einziger tropischer Regenguss, um die Trockentäler (Wadis) zum Ergrünen und Erblühen zu bringen. Binnen weniger Wo­chen werden hier unzählige neue Samen reif, die wiederum ein halbes oder gar ganzes Jahrzehnt in Trockenstarre den nächsten Regenguss erwarten.

Mehrjährige Pflanzen wie die Tamariske entgehen der Austrocknung indem sie ihre Pfahlwurzeln bis in eine Tiefe von 30 Metern bohren. In den amerikanischen Wüsten können Kakteen mit Hilfe ihres im Stamm eingelagerten Wassers bis zu sechs Jahre überleben. Und in Australien legt bei staatenbildenden Wüstenameisen ein Teil der Arbeiterschaft Wasservorräte im eigenen Magen an. Ihre unförmig angeschwollenen Leiber retten in Dürre­zeiten die ganze Kolonie.

Die Wüste wächst

Für die Entstehung wüster Areale sind zwei Vorgänge verantwortlich: Desertation und Desertifikation. Die natür­liche Wüstenbildung ist eine Folge allmählichen Klimawan­dels und wird als Desertation bezeichnet. Die Desertifikati­on hingegen bezeichnet eine künstliche Verödung ehemals fruchtbarer Landschaften aufgrund menschlichen Fehlver­haltens. Zumeist sind beide Prozesse gleichzeitig wirksam.

So verstärkt der Mensch etwa in der Sahelzone die natürli­che Wüstenbildung durch exzessive Abholzung und Über­weidung. Die Sahel ist eine Übergangszone zwischen nörd­licher Trockenwüste (Sahara) und südlicher Feuchtsavanne. Sie umfasst einen 150 bis 800 Kilometer breiten Streifen von 7 500 Kilometern Länge und reicht vom Senegal bis zum roten Meer und darüber hinaus bis nach Somalia, ans Horn von Afrika. Alljährlich erweitet sich die Sahel um sieben bis zehn Kilometer in südliche Richtung.

Doch selbst in gemäßigten Klimazonen, dort, wo es stets genügend Niederschläge gibt, führt unentwegte Entwaldung zumeist sehr rasch zur Verödung großer Landstriche. Die Zerstörung der Wälder wirkt dabei in doppelter Weise ver­heerend: Weder der fruchtbare Boden noch das lebenspen­dende Süßwasser lassen sich nämlich ohne eine schützende Vegetationsdecke auf dem Lande halten.

Drohende Versalzung

Selbst dort, wo fruchtbarer Boden und Süßwasser zur Bewässerung vorhanden sind, droht in trockenwarmen Kli­mazonen die Versteppung. Denn Süßwasser hat immer auch einen gewissen Salzgehalt, der bei intensiver künstlicher Bewässerung und schneller Verdunstung auf längere Sicht zur Versalzung der Böden führt. An diesem Umstand sind bereits die Sumerer im alten Mesopotamien gescheitert. Sie mussten vor sechstausend Jahren ihre Siedlungsgebiete wegen der Übersalzung ihrer Felder aufgeben.

Wandelt sich die Erde nunmehr langsam aber sicher zu einem Wüstenplaneten? Die Wüste vorübergehend zum Blühen zu bringen, mag punktuell gelingen. Sie nachhaltig in fruchtbares Land zurückzuverwandeln ist indes ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen. Es wäre also schon ein gewal­tiger Erfolg, eine weitere Ausweitung der Wüsten zu verhin­dern. Genau dies mancherorts auch versucht – zumeist je­doch mit großem Aufwand und geringem Erfolg.

Um unser von düsteren Vorahnungen gepeinigtem Umweltbewusstsein wenigstens einen kleinen Schimmer der Hoffnung zu gön­nen, sei auf die "Große Grüne Mauer" der Chinesen hinge­wiesen. Seit den Siebziger Jahren wird in China das größte Aufforstungsprojekt der Menschheitsgeschichte betrieben. So wie früher die "Große Mauer" vor den Überfällen der Nordvölker schützte, soll nunmehr eine lebende Barriere aus Bäumen, Sträuchern und Gräsern die trockenen und sandigen Wüstenstürme davon abhalten, immer weitere Gebiete zu veröden. Bislang verliert die Volksrepublik jährlich noch 2500 Quadratkilometern an die Wüste – eine Fläche etwa so groß wie das Saarland. Die "Grüne Mauer" stellt eine Anpflanzung von bislang zweihundertzwanzigtausend Quadratkilometern dar, einer Fläche so groß wie Großbritannien. Noch wächst die Wüste, aber sie wächst langsamer. Denn insgesamt hat China seine Waldflächen seit den Neunzigerjahren beinahe verdoppelt.

Umkehrung der Schöpfung

Während die Experten weltweit darüber streiten, inwie­weit der Mensch überhaupt am Klimawandel beteiligt ist, gehen jedes Jahr allein durch die weitere Versteppung etwa zwölf Millionen Hektar fruchtbaren Bodens verloren. Das entspricht etwa der Ackerfläche Deutschlands. Und die Ten­denz ist leider immer noch steigend. Heinrich von Lersner, erster Präsident des 1974 begründeten Bundesumweltam­tes, sprach angesichts dieser ungeheuren Bodenerosion von einer "Umkehrung der Schöpfung".

Vielleicht bleibt uns ja noch eine gewisse Frist für eine Trendwende. Doch wie lassen sich die Eliten aus Politik und Wirtschaft endlich zum Handelnden bewegen? Etwa dadurch, dass man sie für einige Zeit des Nachdenkens in die Wüste schickt?

mehr zum Thema "Die Wüste"

Reinhard Lassek

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kultur"