Jetzt eine andere

Lusitanian Ghosts III ist raus

Sir Harry Lauders Absacker „Just a wee deoch an doris“ singen Schotten bis heute, ein Schwellenlied: „noch einen Kleinen an der Tür“ – bevor es auseinander- und an Tastatur, Werkbank oder Lenkrad bald von vorne losgeht. Von Wehmut keine Spur, der Song umarmt unverzagt die geteilte Zeit. Das ist Haltung. Just dieselbe hat auch The Long Train, Opener des dritten Lusitanian-Ghosts-Albums. Er markiert zugleich, wo die Reise hingeht: perlend druckvoller Indie-Gitarrenrock aus dessen Blütezeit. Waterboys, Crowded House oder Echo & The Bunnymen sind als Referenz seit ihrem Debüt längst benannt. Intensität, Songwriting und Art-Glam-Faktor, der deutlich an der Intonation des kanadisch-portugiesischen Leadsängers Neil Leyton hängt, treffen das gut. Auch die fickrige Woodentops-Rhythmusarbeit wäre ein Bezug. All dies mag man heraushören, muss man aber nicht: Ihr aus der Zeit gefallener Sound steht ganz gegenwärtig für sich.

Gitarren sind jedoch keine dabei. Das Musikerkollektiv mit Bass und Schlagzeug setzt auf alte Saiteninstrumente aus den Regionen Portugals, nach der einst römischen Provinz auch ‚lusitanische Geister‘ genannt. Stimmung und Saitenkombinationen variieren wie deren Klang, ob sacht rau, voluminös oder mandolinenartig: statt Gitarren prägen hier also die Viola Amarantina, Braguesa, Campaniça, Terceira und Beirão mit Tonfarben und Traditionen, die bis vor die muslimische Ära zurückreichen. Insofern steckt Folk auch mit drin, deutlich in den Balladen. Der Abschied „Dr. Ana Maria“ gemahnt sogar an „Alte Musik“, ist aber taufrisch. Orientalische Figuren kommen hinzu. Lusitanian Ghosts haben Spaß am Detail und verbinden wiedererweckte Klangbilder und „gitarrige“ Indierock-Erdung. Das Album schmeichelt, streichelt und irritiert zugleich, ist sozusagen tröstlich erwachsen, weil die Musiker sich und uns nichts vormachen. Sie schauen hin, die Songstories sind aus dem Alltag vertraut, wenn auch oft übersehen. Große Botschaften zur Welt haben sie nicht, dafür aber und weitaus angenehmer einen schonungslosen Blick darauf. Spontaner Liebling mit markantem Bass­pulsen ist „Pure Evil“, das – obwohl eher getragen – energisch und zum Ende leicht sphärisch einen weiten Bogen schlägt. Er reicht von der Nelkenrevolution 1974 mit „echter“ Volksarmee und gemeinsam gesungenem Grândola bis zur Ukraine heute. Nostalgisch oder eskapistisch ist nichts daran, bitter-süß ironisch hingegen alles, wenn Leyton fast schwelgend singt: „The world is so different now / the world is a different place.“ Ein skeptischer Blick auf den Menschen, der ebenso angebracht wie unverzagt ist. III gibt es nur auf Vinyl, dafür aber in zwei Versionen. Die in Mono hat mehr Punch, findet der Schwede Mikael Lundin, der auch die Amarantina spielt. Die hier zugrundeliegende in Stereo sei reicher. Auf jeden Fall steigert sie das Wohlbefinden: „Just a wee deoch an doris!“

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