Wer so geht, der geht wohl

Andrew Manzes glorioser Abschied aus Hannover
Andrew Manze am 1. Juli 2023
Foto: NDR
Abschiedskonzert von Andrew Manze am 1. Juli 2023 in Hannover

Neun Jahre lang war der britische Dirigent Andrew Manze Chefdirigent der Radiophilharmonie Hannover. Zum Abschied dirigierte der 58-jährige Mahlers „Auferstehungssinfonie“ Nummer 2 c-Moll. Notizen eines denkwürdigen und hoffnungsvollen Konzertabends, den man nachhören und -sehen kann.

Irgendwann hörte der Applaus doch auf, denn alles hat einmal ein Ende. Aber die weit über eintausend Zuhörerinnen und Zuhörer im Kuppelsaal in Hannover klatschten sich nach Konzertende in einen Zustand, den man zumindest in norddeutschen Gefilden als passablen Rausch bezeichnen darf, um Andrew Manze, den scheidenden Chefdirigenten zu feiern. Manche Dinge erscheinen fast zu schön, um wahr zu sein, aber die neun Jahre von Andrew Manze als Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie Hannover von 2014 bis heute gehören in diese Kategorie. Zwar kann niemand hinter alle Kulissen schauen, aber gestern trübte kein Missklang den Abend  – sieht man von dem einen wirklich störenden Huster nach dem berückenden Oboen-Solo im 3. Satz ab, but that's life when it's live.

Auf dem Programm stand Mahlers „Auferstehungssinfonie“ Nr. 2 c-Moll. Eigentlich wollte Manze die bereits 2021 aufgeführt haben, das verhinderte damals die Pandemie. Aber selbst das erscheint nun wie gefügt, denn man kann sich kaum ein besseres, vitaleres, hoffnungsvolleres Stück zum Abschied wünschen. Ein Stück, in dem fast alle (spät)romantisch sinfonischen Möglichkeiten zelebriert werden, ein Hörrohr in die Fülle des Lebens mit allen Höhen und Tiefen. Mahlers Auferstehungssinfonie ist ein Werk, in dem die Radiophilharmonie alle Register ziehen konnte, und sie zog sie mit Bravour, unterstützt und inspiriert von Manze, der sich auch gestern wieder als wacher, filigraner Kunsthandwerker am Pult zeigte. Seine Musiker:innen dankten es ihm: Kein Patzer nirgends zum Farewell, alle gaben alles.

Ansammlung gehobener Klangkörper

Mahlers monumentales Werk passte auch besonders gut zum Abschied von Hannover, weil in ihm etwas zum Tragen kommt, das den besonderen Charme daselbst ausmacht, nämlich, dass das sinfonische Konzertleben der Leinemetropole jederzeit auf eine lebendige, pulsierende Chorszene zurückgreifen kann, eine Ansammlung absolut gehobener Klangkörper aus begeisterten Laien, die sich gerne in den Dienst sinfonischer Großereignisse stellen lassen, auch wenn, wie bei Mahler, Hundertschaften gefordert sind.

In absoluten Supersize-Format durfte man das bereits im Mai bei Ingo Metzmachers Aufführung der 8. Sinfonie von Mahler erleben, der sogenannten „Sinfonie der Tausend“ – da waren an die fünfhundert Sängerinnen und Sänger versammelt, gestern vielleicht „nur“ an die zweihundert, die im fünften und letzten Satz das „Auferst’n, ja aufersteh’n wirst du, mein Staub, nach kurzer Ruh!“ anstimmten. Es sind Worte des Gedichtes „Die Auferstehung“ von Friedrich Gottlob Klopstock, das Mahler für diesen Schlusssatz selbst bearbeitet hat. Vortrefflich sangen neben den vereinigten Chören auch beiden Solistinnen Katharina Konradi (Sopran) und Marianne Beate Kielland (Alt) die 90-minütige Sinfonie und so kam Mahlers gewaltiges Opus  zu einem erlösenden Ende.

Fraglos verdient gemacht

Jubel und Applaus beschlossen einen besonderen Abend. Ja, Andrew Manze hat sich fraglos sehr verdient gemacht um sein Orchester. Wie NDR-Intendant Joachim Knuth in einer persönlich-bewegten und bewegenden Rede kurz vor dem Konzert noch einmal herausstellte, ist es Manze auch gelungen, die NDR Radiophilharmonie in andere Sphären zu heben, zum Beispiel durch einen umjubelten Auftritt bei den weltberühmten BBC-Proms-Konzerten in London und durch die Einspielung preisgekrönter CDs.

Summa: Eine kleine Ära geht zuende, aber nicht so ganz: Schon in der nächsten Saison, die das Orchester ohne Chefdirigent bestreitet, wird Manze wieder dreimal als Gastdirigent zu seiner Radiophilharmonie nach Hannover kommen. Auch ein Zeichen, dass die Chemie stimmt und man sich mag. Insofern gilt: Wer so geht, der geht wohl.

(Das Abschiedskonzert von Andrew Manze mit der Radiophilharmonie Hannover, den Solistinnen Katharina Konradi (Sopran) und Marianne Beate Kielland (Alt), dem Collegium Vocale Hannover, der Capella St. Crucis Hannover, dem Johannes-Brahms-Chor Hannover, dem Jungen Vokalensemble Hannover sowie der NDR Radiophilharmonie können Sie hier als Video-Mitschnitt nachschauen- und hören)

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