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Wie erreicht ’t Hart sein Publikum?

Wer Literatur liebt, kennt ihn: Maarten t Hart, gelernter Calvinist, der das Halseisen dieser religiösen Verbotsreligion aufgebrochen hat, der sich durch Wissenschaft desinfizierte, tief verwurzelte Erfahrungen in vielen Romanen überschrieb und umschrieb, sich in die Musik flüchtete, weil er bis heute dort eine starke vertikale Resonanz verspürt. Er liebt das Verkleidungsspiel, kann sich aber auch ganz ungeschützt, unterfüttert mit viel Selbstironie, ausstellen: „Für diese Menschen ist der Calvinismus erfunden worden, diese Männer mit schmalen Lippen, mit Schweinsäuglein und rotfleckigen Wangen, mit Gesichtern wie dem meinen, und gerade das macht es so schlimm.“ (Ein Schwarm Regenbrachvögel)

Im deutschsprachigen Raum ist der inzwischen sehr kräftig renovierte Calvinismus allerdings nur eine Minderheitsveranstaltung, umso erstaunlicher sind die bleibend hohen Verkaufszahlen der Romane. Maarten ’t Hart schreibt keine Nischenliteratur. Woher also resultiert dieser Erfolg? Religion bietet in der Lebenswelt bleibend ein Angebot für die Kontingenzbewältigungspraxis bezogen auf den Anfang und das Ende menschlichen Lebens, auf Krisen und unverhofftes Glück.

Existenziell kann man sich dazu indifferent, euphorisch zustimmend, religionsnah oder wütend und gelassen bestreitend verhalten. Und das zeigt die formidable Monografie von Christina Bickel. Maarten ’t Hart unterbreitet in seinen Romanen Angebote zur spielerischen Identifizierung für alle genannten Gruppen. Maarten ’t Harts Belletristik ist nicht einfach nur religiös grundiert: „’t Harts Romane und Erzählungen bieten durch offene Wirkstrukturen ein weites, jedoch nicht beliebiges Feld an unterschiedlichen Deutungsangeboten religiöser Art – sei es religionsaffin, religiös, religiös indifferent, religionskritisch, nicht-religiös.“

Die große Stärke dieser angezeigten Monografie besteht darin, dass Bickel in ihren narratologischen Analysen, die alle Autorinnen und Autoren von Rang zum Thema auftreten lässt, die Poetik von ’t Harts Romanen offenlegt. Bickel zeigt die auf Wirkung zielende Produktionsästhetik, die vielen Rezipienten viel Freiheit ermöglicht, um mitzuspielen. Sie schließt damit im Umweg über die Exegese von Romantexten auch die große Lücke im Umgang mit biblischen narrativen Texten, nämlich zu zeigen, wie sie poetologisch gebaut sind, um bei ganz unterschiedlichen Lesemilieus Resonanz zu erzeugen. Nur schlüssig, schlägt sie abschließend einen Bogen, um im Anschluss an die feinsinnige Homiletik von Albrecht Grözinger den Mehrwert für die Praktische Theologie zu verbuchen.

Eine inspirierende Monografie, welcher der sagenhafte Verkaufspreis leider eine erdenschwere Fußfessel anlegt.

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Foto: Privat

Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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