Universell

Jüdische Theologie und Politik

Der Band von Elisa Klapheck versammelt sieben Essays über die politischen Dimensionen der jüdischen Theologie. Neben der Veröffentlichung zahlreicher Bücher wirkt Klapheck als liberale Rabbinerin in Frankfurt am Main, Mitbegründerin des jüdisch-feministischen Netzwerks Bet Debora sowie als Professorin für Jüdische Studien an der Universität Paderborn. Seit kurzem ist sie zudem Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland (ARK). Für den Essayband schöpft die Autorin insbesondere aus der Hebräischen Bibel, der klassischen rabbinischen Literatur, aber auch aus jüngeren Diskussionen über die Erneuerung des Judentums. Zu theoretischen Reflexionen über die jüdischen Quellen gesellen sich somit auch Aufsätze, in denen die Anwendbarkeit dieser Prinzipien diskutiert wird.

Die Autorin betrachtet zeitgenössische politische Konzepte durch eine dezidiert jüdische Brille: Was hat die Europäische Union mit dem ersten Noachidischen Gebot, sich als Gemeinschaft ein bindendes Rechtswesen zu verleihen, zu tun? Weshalb bezogen sich sowohl Bill Clinton als auch Barack Obama auf das Prinzip des Tikkun Olam, das häufig als „Reparatur der Welt“ übersetzt wird?

Die Spannung zwischen „Athen und Jerusalem“, also die Frage, inwiefern Gott in die Gestaltung der menschlichen Lebenswelten eingebunden werden kann, steht hierbei im Zentrum. Die Annahme, dass dies nur durch eine Partnerschaft möglich sei, bildet den roten Faden der sieben Essays. Im ersten Kapitel „Gott und die Polis. Eine biblisch-politische Deutung“ legt Klapheck den theoretischen Grundstein. Ihrer Vorstellung nach handelt die Tora auch von der Geschichte Gottes und allen voran der göttlich-menschlichen Beziehung. Erst indem sich Gott vom „despotischen Herrscher“ hin zum Partner der Menschen entwickle, ergäben sich wichtige Handlungsspielräume. In Anlehnung an Daniel J. Elazar stellt Klapheck fest, dass die Tora durchaus Vorstellungen über das menschliche Zusammenleben enthält, die der Idee der Polis nahekommen. In der Kahal, der jüdischen Gemeinschaft, kommt jedoch der Bund mit Gott hinzu. Auf diese Weise bleibe Gott in die Gestaltung der menschlichen Lebenswelten eingebunden.

Zur Entwicklung eines politischen Gemeinwesens gehört neben der Beschränkung der Macht auch die Herrschaft des Rechts als bindendes Prinzip für alle – auch für Gott. Die Autorin bezieht sich hierbei auf eine berühmte Stelle aus dem Talmud. Im Traktat Berakhot 7a beschreiben die Rabbinen, wie Gott zu sich selbst betet, um mit dem jüdischen Volk „nach der Eigenschaft der Barmherzigkeit“ zu verfahren und „ihrethalben innerhalb der Rechtslinie“ zu bleiben, also Milde walten zu lassen. Dieser Wandel Gottes, den Klapheck als raison d‘être der Tora bezeichnet, werde auch anhand der Geschichte des Brudermörders Kain deutlich. Kain konfrontiert Gott mit seiner Verzweiflung und gesteht sich ein, dass er sich nicht aus eigener Kraft retten könne. „Gott tötet Kain nicht, er gibt Kain vielmehr eine zweite Chance.“ Er wird verbannt und gleichermaßen zum Begründer der ersten Stadt. Anstatt den Widerspruch einzuebnen, weist Klapheck auf die Wichtigkeit des Ringens mit Gott um die menschliche Autonomie hin. Dieser Aushandlungsprozess, der auf einer Bewegung Gottes zum Menschen hin beruht, ermögliche erst die Erschaffung neuer Welten.

Klapheck gelingt es in ihrem Buch, theologische Fragestellungen für eine interessierte Leserschaft aufzubereiten. Durch die Hervorhebung des „produktiven Konflikts“ als Grundlage der göttlich-menschlichen Partnerschaft liefert die Autorin ein Korrektiv für verkürzte Annahmen über die Hebräische Bibel. Gleichermaßen beleuchtet sie, dass sich bereits innerhalb der jüdischen Tradition wichtige Voraussetzungen für moderne Prinzipien der Freiheit oder Autonomie finden lassen, die bis heute universelle Geltung beanspruchen.

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Foto: Dubnow Institut

Alexandra Bandl

Alexandra Bandl ist im Vorstand des jüdischen Vereins TaMaR Germany. Aktuell ist sie Doktorandin am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow und arbeitet zudem als Bildungsreferentin im jüdischen Kulturzentrum Ariowitsch-Haus in Leipzig.


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