Versöhnung

Annäherung an Albrecht Goes

Es ist schon erstaunlich: Einige seiner Bücher sind im Buchhandel noch lieferbar, in der literarischen und kirchlichen Erinnerung aber scheint er aktuell kaum noch präsent: Albrecht Goes – jener Schriftsteller, der zugleich evangelischer Pfarrer war und als einer der ersten die Schrecken von Krieg und Holocaust in Gedichten und Erzählungen verarbeitet hat. Dass Jürgen Israel mit seinem neuen Buch nun Goes davor bewahrt, gänzlich vergessen zu werden, ist darum eine verdienstvolle Tat.

Es waren vor allem die Erzählungen „Begegnung in Ungarn“ von 1945, „Unruhige Nacht“ von 1949 (1958 verfilmt mit Bernhard Wicki und Hansjörg Felmy), „Das Brandopfer“ von 1954 und „Das Löffelchen“ aus dem Jahr 1965, mit denen sich Goes auch über Deutschland hinaus einen Namen gemacht hat. Aus seinen Texten spricht ein Mensch, der zutiefst erschüttert war von der politischen Entwicklung in Deutschland, von der Verrohung in der Zeit vor und während des Nationalsozialismus, von der Verfolgung und Ermordung von Millionen europäischer Juden und von den Schrecken des Krieges. Goes (geboren 1908 und gestorben 2000) gehört zu denen, die die Schuld der Deutschen, die Mitverantwortung jedes und jeder Einzelnen immer wieder benannt haben – auch in den Jahren, als die Mehrheit der Landsleute das lieber verdrängt hätte.

Jürgen Israel, Publizist aus Neuenhagen bei Berlin und Beratender Mitarbeiter von zeitzeichen, zeichnet in seinem Buch, das er im Untertitel eine „Annäherung an Albrecht Goes“ nennt, das Bild eines Mannes mit vielen Facetten: Goes ist Prediger und heimatverbundener Württemberger, er ist Liebhaber von Musik und Literatur, er ist Seelsorger und Theologe, Erzähler und Lyriker. Vor allem aber ist er ein Mann mit einem ausgeprägten politischen Sensorium. Nicht zufällig heißt der Titel von Israels Buch: Was geschieht, geht dich an.

Was geschieht, geht dich an: Diese Lebenshaltung erwachte schon früh in dem Pfarrerssohn Goes. Schlüsselerlebnis war die Ermordung des jüdischen deutschen Außenministers Walther Rathenau im Jahr 1922. Sie bewegte den damals 14-Jährigen nachhaltig. Bereits fünf Wochen nach der Tat habe Goes an Rathenaus Berliner Grab gestanden, schreibt Israel.

Antisemitismus auf der einen und eine enge geistige Nähe zu jüdischem Glauben und Denken auf der anderen Seite wurden fortan tragende Lebensthemen des Württemberger Pfarrers. Schon 1934 schrieb er einen ersten Brief an den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber. Die Verbindung zwischen beiden hielt. Und was Goes zum Thema Antisemitismus sagt, hat nichts von seiner Wahrheit eingebüßt: „Man kann über viele Dinge in der Welt verschiedener Meinung sein (...). Hierüber aber ist – im Deutschland von heute – keine Auseinandersetzung möglich: Antisemitismus ist keine Meinung, noch weniger eine Haltung, sondern eine Pest.“ Es mag mit dieser eindeutigen Positionierung zu tun haben, dass Goes, wie Jürgen Israel am Rande erwähnt, „öffentlich äußerst selten die Politik des israelischen Staates den Palästinensern gegenüber getadelt hat“.

An anderer Stelle aber zeigt sich Goes’ kritisches politisches Bewusstsein erneut sehr klar: 1955 unterzeichnet er das „Deutsche Manifest“ gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik und macht sich dabei in kirchlichen Kreisen nicht nur Freunde.

Was nach der Lektüre von Israels „Annäherung“ bleibt: Das Vermächtnis von Albrecht Goes war seine Haltung, seine schon in der Jugend geprägte christlich-humanistische Weltsicht (im Bücherregal der Eltern standen Goethes Werke neben der Bibel) und sein Glaube daran, dass Versöhnung möglich ist. Ob er ein großer Schriftsteller war? Das ist vielleicht am Ende Geschmackssache. Seine Gedichte jedenfalls sind in der Mehrzahl, wie Israel schreibt, traditionell-konventionell. Die Erzählungen aber dürften ihren Wert behalten.

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