Anregend

Christologie anders

Mit dem Essay Auferweckung knüpft Ingolf U. Dalferth an seine früheren Bemühungen an, die Christologie nicht länger ausgehend vom Paradigma der Inkarnation, sondern von dem der Auferweckung her zu verstehen und die Aktivität Gottes hervorzuheben. Von Relevanz ist für ihn, der als Zentralproblem verstandenen Abwendung vom Paradigma der Auferweckung sowie ihrer Deutung als Vollendung der Inkarnation zu begegnen. So sei die Auferweckung nicht als die Vollendung der Bewegung eines präexistenten Logos zu den Menschen und sodann wieder hinauf in die göttliche Ewigkeit zu verstehen, da es sich bei diesen Deutungen um zurückprojizierte, aber nicht umkehrbare Darlegungen dessen handelt, was durch die Auferweckung offenbart wurde. Wo sie von der Inkarnation her gedacht werde, verstellen Konstrukte einer Gleichheit von Mensch und Gott ein angemessenes Verständnis der göttlichen Einheit mit dem Menschen. Dies beleuchtet Dalferth in 14 Kapiteln.

Insbesondere auch für Theologie-Neulinge geeignet sind seine grundlegenden Auseinandersetzungen mit der Geltung von Dogmen als zu hinterfragende Ausgangspunkte – und nicht letztgültige Ergebnisse – theologischer Erkenntnisbemühungen. Der Fokus liegt sodann auf dem Glaubensbekenntnis von Chalcedon, dessen Geltung Dalferth in den Kontext damaliger reichspolitischer Regelungen des römischen Kaiserreichs verortet, was zur kritischen Reflexion seiner diskursprägenden Rezeption auffordert: Als Hauptproblem markiert Dalferth die im damaligen Inkarnationsdenken verbreitete Gleichsetzung von Jesus (als historischer Person) und Jesus Christus (als Amtsperson). Verortet im bekannten Diskurs um ein angemessenes Verständnis dieses Spannungsfeldes samt seiner Fehlkonzepte, stellt er heraus, dass nicht die historische Person Jesus von Nazareth ins Zentrum zu stellen sei, sondern die Konkretion der Liebe Gottes, die ihn als den Christus ausweise und dazu nötige, nicht auf ihn zu blicken, sondern von ihm aus die Welt zu betrachten. Nicht um seiner selbst willen – als Mensch, Mann, Jude – sei Jesus von Interesse, sondern im Verweis auf Gott, der sich mit dem von Jesus verkündeten Gottesbild identifizierte und sich durch Jesus nun auch auf uns bezogen habe. Maßgeblich sei entsprechend nicht, dass im Geschick Jesu die notwendigen Bedingungen zur Erlösung der Menschen durch Gott geschaffen wurden, sondern dass dieser „an ihrem Ort und in ihrem Leben so präsent und am Werk ist, wie es in Jesu Leben und an seinem Ort deutlich wurde.“ Von soteriologischer Relevanz sei somit nicht etwa das geteilte Menschsein Jesu mit der übrigen Menschheit, sondern die göttliche Gegenwart bei ihr. Jesus könne darum nicht als Erlösung der Menschheit verstanden werden, sondern als der den erlösenden Gott Erschließende.

Im verbreiteten Inkarnationsparadigma werde ferner Gottes Alleinwirksamkeit, an die der Heilscharakter seines Wirkens gebunden sei, nicht recht gewürdigt. Dies sei vor allem dort der Fall, wo Jesus als aktiv Auferstehender bekannt und „Auferstehung“ als innergöttliches Spektakel verhandelt werde, wodurch das pro nobis ebenso unterbestimmt bleibe wie das solo deo. Als nicht minder problematisch weist Dalferth Konzepte aus, in denen Gott nicht als Handelnder gedacht wird, der „den Gekreuzigten in sein Leben einbezieht“, sondern im Gekreuzigten aufgeht. Derartige Zusagen des göttlichen Mitleidens seien problematisch, sofern sie den transitorischen Charakter des Heilswirkens Gottes unzureichend aufweisen, als ginge es um seine Veränderung und nicht um die Menschlichwerdung seiner Geschöpfe, die nicht auf eine Aufhebung der Differenz von Schöpfer und Geschöpf abzielt, sondern sie voraussetzt.

Im zweiten Teil präsentiert Dalferth eine Vertiefung der skizzierten Problemfelder, im Rahmen derer die Entäußerung (Kenose) als zentrales Problem der Christologie, die Verabschiedung der Transzendenz Gottes als Säkularisierungsmotor oder die Implikationen der Menschlichwerdung in Bezug auf eine Dankbarkeit für die Schöpfung zur Sprache kommen. Kritisch rückzufragen wäre, inwiefern die enge Fokussierung auf die Menschlichwerdung Gefahr läuft, hoffnungsspendende Spezifika der Auferweckungsbotschaft abzublenden. So richtig etwa die Aspekte der Leiblichkeit oder Geschichtlichkeit keine theologischen Notwendigkeiten sind, scheinen sie doch – schon um der Wertschätzung der geschöpflichen Konstitution willen – mehr zu sein als angedeutet. In Bezug auf die Inkarnation zu hinterfragen wäre, ob diese wirklich verbreitet auf eine Überwindung der Differenz von Schöpfer und Geschöpf oder auf eine Hervorhebung der „Universalität des Heils“ bezogen wird und als einseitig gedachte „Menschwerdung“ Gottes der „Menschlichwerdung“ seiner Geschöpfe entgegengestellt werden kann. Ferner, ob sie im Zusammenhang mit der Vorstellung der leiblichen Auferstehung Potenziale entfaltet, die bei Dalferth unterbestimmt bleiben. Die Hervorhebung dessen, dass in Bezug auf den Auferweckten nicht seine Geschichte oder Leiblichkeit, sondern „existenziell seine Person“ thematisiert werden soll, da nicht seine Menschlichkeit, sondern seine „konkrete Existenz“ heilserschließend sei, birgt ferner die Gefahr, die im Damals und Dort verankerte, einmalige Existenz Jesu gegen seine hier und heute relevante Gegenwart auszuspielen. Dadurch droht das in der Auferweckung als Neuschöpfung gegebene Ineinander von Zeit und Ewigkeit, wie das leere Grab und die Wundmale des Auferweckten es zum Ausdruck bringen, zugunsten eines hermeneutischen Nachein­anders aufgelöst zu werden.

Ungeachtet dieser Rückfragen handelt es sich um eine anregende Lektüre, die verständlich wie nachdrücklich den freudigen Charakter der Christologie und das DaSein Gottes für den Menschen zur Sprache bringt. Sie fungiert als Erinnerung daran, dass Christologie stets Soteriologie ist und in all ihren Zusprüchen keine isolierten, innergöttlichen Machtbeweise bezeugt, sondern auf die notwendige Veränderung des Menschen verweist. Von bleibender Relevanz sind auch Dalferths eindrückliche Warnungen vor einer Entmachtung Gottes in der Reduktion auf sein Mitleiden. Diese und weitere Impulse laden zum Weiterdenken ein.

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Foto: medio tv Schauderna

Julia Drube

Julia Drube ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Religionspädagogik an der Universität Kassel.


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