Ach, wie gut

Gelungene Jazz Fusion

Querfront heißt im Jazz Fusion: Gattungen, Stile, Soundfarben und Traditionen werden gemischt. Es entsteht Neues. Das Gute daran ist, dass das ungefährlich ist, politisch keinen Schaden anrichten und historisch Bitteres zur Folge haben kann. Musik ist wohltuender Eskapismus und schlicht harmlos. Anders als bei teuflischer Rumpelstilzerei von Postbolschewisten, Pazifisten und völkischen Nationalisten droht da kein Geist aus der Flasche zu entweichen. Flasche und Geist sind hier vielmehr eins, vielleicht auch Rausch, in jedem Fall Erhebung, begeisternd, mitunter sogar Ticket für Ekstase. Aber dann ist das Album auch durch, das Konzert beendet. Wir kehren berührt oder ausgetanzt in den Alltag zurück, bestenfalls gestärkt, wenn es toll war. 

In Search for a better Tomorrow ist Fusion in diesem guten Sinne und entstand aus einer Begegnung: Das Trio Jaubi aus Lahore, zweitgrößter Stadt Pakistans, (Gitarre, Tabla/Vocals, Sarangi) lernte bei einem Auftrtt in Kattowitz das Quintett EABS aus Wrocław/Breslau kennen (Flügel/Keys, Drums, Bass/Moog, Saxophone/Klarinette, Trompete). Nach dem Konzert ging es für eine Woche zusammen ins Studio im malerischen Kłodzko-Tal in Niederschlesien. Sie spielten und tauschten Kompositionen aus. Doch die Grundstimmung des daraus entstandenen Albums mit dem ambitionierten Titel ist eher dunkel, ein hörenswertes Ereignis ist es mit seinen zehn Tracks jedoch allemal. Denn diese acht Musiker mit ihren je eigenen, spürbar wertgeschätzten Traditionen verbindet einiges – ein Faible für Hiphop-Elemente etwa, Spaß an der Improvisation und der Hang zu spirituellem Jazz. So schillert das Ergebnis zwischen Hindustani-Ragas, vividem, immer schon facettenreichem polnischen Jazz und so mancher Überraschung.

Sorgen in ihrem Alltag haben die Musiker beider Formationen genug: Die Corona-Beschränkungen hallen nach. Inflation, das imperialistische Russland hat die Ukraine überfallen und droht auch Polen, Pakistan leidet unter den heftigsten Überschwemmungen seit langem, und in beiden Ländern grassieren krude Fundamentalismen. Aber sie haben eben auch so viel Lust auf Austausch, Erkundung, immensen Spielwitz und grandiose Offenheit. So schimmert mehrfach – erleichternd nichtgläubig – eine Sun Ra-Begeisterung durch, Tanzlust ohnehin, aber auch Spuren funkiger Postpunk-Verlorenheit wie zum Beispiel bei den frühen Psychodelic Furs („India“). Das mag daran liegen, dass sich die Epochensorgen in der Grundierung ähneln. Insgesamt ist die Platte indes ebenso heiter wie intensiv.

Alles hat seine Zeit: Musik, Denken, Handeln. Ein erstaunliches Album, das auch mal mit dronigem Zapfenstreich-Memento und anschließend flotter Sarangi-/Tabla-/Free-Jazz-Reise darin bestärkt, nicht zu vergessen, wie jenes fratzenhafte Querfront-Männlein heißt. Toll.

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