Anspruchsvoll

Schöpfungstheologie

Dieses eine Mal stand die Weihnachtsbotschaft nicht bei Lukas 2, sondern in Genesis 1. Die Besatzung von Apollo 8 befand sich nämlich am 24. Dezember gerade auf einer Mondumlaufbahn, als sie die biblische Schöpfungsgeschichte rezitierte. Etwa eine Milliarde Menschen sahen und hörten bei dieser Live-Übertragung gebannt zu. „Wohl selten zuvor in der Geschichte der Menschheit“, so Michael Gerhardt, „wurde das Potenzial eines naturwissenschaftlich-rationalen Weltbildes eindrucksvoller demonstriert als an diesem Weihnachtsabend des Jahres 1968.“

Gerhardt ist gelernter Physikingenieur und Theologe. Das Spannungsverhältnis zwischen „Natur“ und „Schöpfung“ ist ihm bestens vertraut. Er kennt die Ausprägungen beider Kulturen, versteht die jeweiligen Denkmuster und Sprachspiele. Das macht ihn zum idealen Dialogpartner für ein interdisziplinäres Gespräch zwischen „Wissen“ und „Glaube“. Das „Wissen“ fragt, „wie“ die Welt beschaffen ist, der „Glaube“, „warum“ es diese Welt überhaupt gibt. Ist Wissenschaft somit für das „Erklären“, Glaube hingegen für das „Verstehen“ zuständig? Solch komplementäre Aufgabenteilung ist Gerhardt zu wenig. Er will mehr als nur eine saubere Abgrenzung der Begrifflichkeiten und Geltungsbereiche.

Anhand der Entstehungsgeschichte unseres Sonnensystems stellt Gerhardt einen holistischen Ansatz vor, der das alttestamentarische „Firmament“ mit dem „Kosmos“ der modernen Astrophysik zusammendenkt. Es geht um ein Kommunikationsmodell, das auf strikte Selbstbeschränkung der Disziplinen verzichtet. Die verschiedenen Rationalitäten gehören zu einer Vernunft verbunden – und zwar zu einer „immer noch wissenschaftlichen“ Vernunft. Denn die Theologie kann einerseits den „Universalitätsanspruch des Gottesgedankens“ nicht einfach aufgeben. Andererseits kann sie aber auch nicht selbstgenügsam ihrem eigenen Rückzug beiwohnen und tatenlos zusehen, wie sie mehr und mehr „von der Kompetenz der basalen Welt- oder auch Naturdeutung“ ausgeschlossen wird.

Gerhardts „mehr oder weniger umfassende Vernunft“ setzt eine Bereitschaft voraus, „die Sprachspiele der Disziplinen osmotisch offen zu denken“, um eine epistemisch-holistische Perspektive zu gewinnen. Doch zunächst müssen die „inneren Begründungen“ der einen Rationalität jeweils auch der anderen Rationalität zugänglich gemacht werden. Die Vermittlung der eigenen Perspektive darf dabei jedoch nicht der bloßen Selbstvergewisserung eigener Inhalte dienen. Sinn des Dialogs ist ja, den Erklärungsmonismus zu überwinden. Eine „unverbundene Multiperspektivität“ wäre lediglich ein gutes Zwischenergebnis, angestrebt ist jedoch „ein umfassenderes wissenschaftliches Verstehen der Welt“.

Um die Handlung in Genesis 1 zu analysieren, verwendet Gerhardt ein narratives Aktantenschema – also ein Modell der Semantik. Insofern die Theologie das „Firmament“ als „Realsymbol des Sonnensystems“ interpretiert, muss sie die „Normativität ihrer altorientalischen Quellen in Form der biblischen (Schöpfungs-)Texte“ nicht aufgeben. Das heißt: Die Theologie beschäftigt sich mit dem „Symbol“, nicht mit der „Sache selbst“. Somit wird der kreationistische Ansatz abgewehrt, zugleich aber auch das Sonnensystem religiös betrachtet, ohne die Realitäten der Naturforschung zu leugnen.

Gerhardt ist ein substanzielles Buch über einen hoch komplexen Dialog gelungen. Den Dialogpartnern hat Gerhardt dabei Treffliches ins Stammbuch geschrieben: der Theologie, dass sie sich eine „Separatperspektive“, ganz losgelöst von der Naturforschung, heute nicht mehr leisten kann. Der Naturwissenschaft, dass die „Grenzen der Vernunft“ anzuerkennen, durchaus rational ist.

Gewiss, eine anspruchsvolle Lektüre. Aber eben auch genau das, was gebraucht wird, um sich sowohl das (forschende) Staunen als auch das (glaubende) Wundern – und damit das Geheimnis der Schöpfung – bewahren zu können.

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