Baby Blue

Cat Power singt Bob Dylan

Ein legendäres Konzert wiederaufzuführen, ist ein doppeltes Wagnis: Verfallen in ehrfürchtige Kopie droht ebenso wie Missbrauch als Rampe für übertrumpfende und so schimpfliche Selbstdarstellung. Die zuvor, sagt sie, höchst aufgeregte Cat Power aka Chan Marshall (* 1972) meistert diese doppelte Klippe grandios und mit stupender Intimität, die zugleich dem Zuhörer jeden der 15 Songs als eignen Raum zum Beziehen öffnet. Das mag auch gelingen, weil die bei Hippie-Eltern groß Gewordene Dylan-Songs schon mit fünf zu hören begann. Mit neun kannte sie alle Verse des Jahrhundertpoems Desolation Row und sang es mit: „And the way I sang the songs back then is the same way I sing them now.“ Dylans Royal Albert Hall Concert vom 17. Mai 1966 coverte sie indes wirklich dort, in London, nicht in der Manchester Free Trade Hall, wo das Original stattfand, aber wegen der Falschbenennung auf dem berühmten Bootleg davon diesen Namen erhielt (und längst auch offiziell als Bootleg Series Vol. 4 erhältlich ist).

Epochal ist das Konzert nicht nur wegen der Intensität des Auftritts, sondern weil er nach dem akustischen Set wie durchweg auf jener Tour das zweite mit Rockband spielte, was Folkpuristen hörbar übel nahmen: Einer schrie Judas! Dylan ätzte: „I don’t believe you, you’re a liar.“ Ein Schelm fand, nun an derselben Stelle auch Judas rufen zu müssen, Marshall kontert trocken: Jesus! Was bei diesem Abend bloß heißen kann: Du hast ja den Schuss nicht gehört, stör nicht die Magie! Denn das war er, pur. Dann taucht sie in den vorletzten, wohl beleidigendsten Dylan-Song überhaupt: Ballad of A Thin Man („something is happening here / and you don’t know what it is“). Höhnt („there ought to be a law against you coming around“), nölt, grölt, tut verständnisvoll – und weiß. Satt getragen von ihrer starken Band (Henry Munson/Gitarre; Arsun Sorrenti/E-Gitarre; Erik Paparozzi/Bass; Aaron Embry/Klavier, Mundharmonika, Wurlitzer; Jordan Summers/Hammond-Orgel; Josh Adams/Drums), die sich die Dylan-Songs originalnah ebenfalls hinreißend aneignet, schließt sie ergreifend mit Like A Rolling Stone.

Wir verneigen uns vor der Interpretation: Aneignung, nicht starre Verehrung. Draufhaben wie Marshall muss man es jedoch: Sie scattet, sehnt (Tell Me Mama), schmachtet, maunzt, hat den Blues und nicht zuletzt mit diesen Songs ge- und erlebt, wie die persönliche Diktion und Phrasierung spürbar machen – minimalistisch und gerade darum mit tollen Akzenten wie im ersten Set oder Indierock-voluminös, doch epochentreu wie im zweiten. Extraklasse ist Just Like A Woman von ihr als Frau, der absolute Liebling It’s All Over Now, Baby Blue mit glockenläutender Gitarre, läuterndem Schmerz („better use your sense“) und der Einsicht, dass Liebe und Loslassen ein Paar sind: großartiges Songmaterial, reizvoller Anlass, die Interpretin ein echter Glücksfall. Diese Doppel-CD ist ein Ereignis auf einer, bloß eben heutigen, Höhe mit Dylans Ur-Royal Albert Hall Concert.

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