Nachdenklich

Christen und Muslime

Henning Wrogemann ist seit vielen Jahren ein kritischer Begleiter des christlich-islamischen Dialogs der evangelischen Kirchen in Deutschland. Verschiedentlich hat er kritische Aufsätze dazu veröffentlicht, die er nun in einem Sammelband zusammengeführt hat. Redundanzen bleiben dabei nicht aus. Er setzt sich insbesondere mit der Arbeitshilfe „Weggemeinschaft und Zeugnis im Dialog mit Muslimen“ der Evangelischen Kirche im Rheinland von 2015 auseinander, bezieht aber auch die Veröffentlichung der badischen Kirche „Christen und Muslime. Gesprächspapier zu einer theologischen Wegbestimmung“ (2018) mit ein.

Sein Hauptvorwurf ist die „weitgehende christliche Selbstrelativierung“, weil wesentliche theologische Themen ausgeblendet würden und die Kirche sich „auf einen dürren Aufklärungsmonotheismus“ zurückziehe. Dabei unterstellt er, dass „die Unterschiede zwischen biblisch-christlicher und koranisch-muslimischer Position abgeschliffen werden sollen“. Besonders problematisch findet er, dass diese Papiere diverse kirchliche Gremien durchlaufen haben und offenbar auch in Kenntnis der Kirchenleitungen veröffentlicht wurden. Ihnen hält er vor, „sich leichtfertig auf theologisch unhaltbare Selbstrelativierungen“ eingelassen zu haben.

Zweitens: Die evangelischen Kirchen bemühten sich um einen theologischen Dialog, der von muslimischer Seite kritisch gesehen oder abgelehnt wird.

Und drittens verwendeten Kirchen oft ein unklares Dialog-Verständnis mit unreflektierten weitreichenden Konsequenzen. Wrogemann entwickelt hier eine „Hermeneutik des Dialogs“, die zwischen Ausgangssituation, Intention, Hermeneutik, Ziel und Konsequenz differenziert. In den Kirchen-Papieren sieht er eine „assimilative Hermeneutik“ am Werk, die von der Vorannahme ausgehe, „dass durch einen theologischen Konsens Konflikte vermieden werden können“. Ziel des Dialogs sei eine „gegenseitige vollumfängliche theologische Anerkennung“ als „zu erreichender Endzustand“.

Wrogemann unterscheidet „Kontakt-Dialoge“, „Kompromiss-Dialoge“ und „Kenntnis-Dialoge“ mit ihren unterschiedlichen Hermeneutiken. Er zeigt so schon, wie vielfältig Dialog in der Praxis ist. An anderer Stelle spricht er auch vom „Kontrovers-Dialog“, der nur „allzu leicht verdächtigt [werde], ins Ideologische abzugleiten“. Ob damit die „Überzeugungs-Dialoge“ gemeint sind, von denen Wrogemann noch 2015 in seiner umfassenden „Theologie Interreligiöser Beziehungen“ schrieb?

Ein wichtiger Ansatzpunkt für Wrogemanns Kritik ist ein Satz des rheinischen Papiers, der beschreiben soll, wie sich die unterschiedlichen Wahrheitsansprüche der Religionen zur Gotteswirklichkeit verhalten. Diese ist uns in Jesus Christus letztgültig offenbart worden. Sie hat sich aber auch in der biblischen Offenbarungsgeschichte immer wieder neu gezeigt (wie im rheinischen Text vorher dargestellt wird). Der kritisierte Satz: „Auch dem christlichen Glauben widersprechende Glaubensvorstellungen stehen unter der Gnade Gottes in seiner Geschichte des Heilsweges mit seiner Schöpfung.“ Interessant, dass Wrogemann die Offenbarung Gottes in Jesus Christus als letztgültige Offenbarung dann darin zusammengefasst sieht, dass sich Gott als der offenbart hat, „der Liebe ist“. Das ist gut neutestamentlich – nur so wie Wrogemann immer wieder einen unklaren Dialog-Begriff kritisiert, wäre hier der Liebes-Begriff erst noch zu beschreiben.

Den kritisierten Papieren stellt Wrogemann die ökumenischen Verlautbarungen des ÖRK von 2013, des Lutherischen Weltbundes (2006) und der Lausanner Bewegung (2010) gegenüber, die trinitätstheologisch argumentierten. Erwähnt sei, dass sich das rheinische Papier sehr wohl auf verschiedene Verlautbarungen gerade aus dem ökumenischen Kontext bezogen hat und exemplarisch die interreligiöse Situation in Indonesien dargestellt hat (zu deren Kirchen die rheinische Kirche Partnerschaften pflegt).

Leider erwähnt Wrogemann nicht, dass das rheinische „Gesprächspapier“ 2018 nach intensiver Debatte tatsächlich zu einem rheinischen Synodalbeschluss geführt hat: „Für die Begegnung mit Muslimen. Eine theologische Positionsbestimmung“. Diese formuliert an manchen Stellen die christlichen Glaubens-Grundlagen klarer als in der vorangegangenen Arbeitshilfe, würde aber sicher wieder Wrogemanns Kritik provozieren: „Der Dialog zielt auf das gegenseitige Kennenlernen, das gemeinsame Handeln, das Aushalten von Differenzen sowie eine vertiefte Wahrnehmung der je eigenen Traditionen, nicht aber auf eine Konversion zur jeweils anderen Religion“ (rheinischer Synodalbeschluss 2018, Punkt 3).

Die dargestellte Kritik wird von Wrogemann in seinen Aufsätzen unter verschiedenen Gesichtspunkten variiert: die Frage nach der Selbigkeit Gottes, in Auseinandersetzung mit einzelnen Koran-Versen, die für den Dialog bedeutsam sind, Ansätze der pluralistischen Religionstheologie und verschiedene Perspektiven zu einem „kon­struktiven Umgang mit Differenz“.

Seinen Sammelband beschließt er mit einer „Theologie Interreligiöser Beziehungen. Thesen zu einem Neuansatz theologischer Wertschätzung des religiös Anderen“. Dialoge seien für eine plurale Gesellschaft notwendig, und so will er „ein vertieftes Verständnis interreligiöser Beziehungen“ befördern. Seine Thesen enthalten Anregungen, die weitergeführt werden müssten. Schließlich sieht Wrogemann in „christlichen Letztbegründungsmustern … einen christlichen Beitrag zur konstruktiven Gestaltung interreligiöser Beziehungen“. Auf jeden Fall fordert dieses Buch zu eigenem Nachdenken und einer eigenen Positionierung heraus.

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