Erhellend

Eine andere Sicht Gottes

"Gott ist queer“, rief der ostfriesische Pastor Quinton Ceasar bei seiner Predigt im Schlussgottesdienst des Kirchentags in Nürnberg. Diese Aussage irritierte Leute, die sich unter dem englischen Wort queer nur wenig oder nichts vorstellen können, und rief bei Ewiggestrigen Hassgefühle hervor, wie das leider oft der Fall ist, wenn es um Geschlechterrollen und Sexualität geht. Umso wichtiger ist das Buch Gott queer gedacht von Andreas Krebs. Er wirkt an der Universität Bonn als Professor für Alt-Katholische und Ökumenische Theologie und Direktor des Alt-Katholischen Seminars.

Der 47-Jährige, der in Oxford studierte, stellt queere Theologien vor, die vor allem in den USA und England entstanden sind, erschließt sie dem deutschsprachigen Publikum und bringt behutsam einen eigenen Standpunkt ein. Dies und eine Literaturliste am Ende jedes Kapitels regen zum Weiterlesen und Weiterdenken an.

Krebs erläutert, dass mit dem englischen Wort queer, das man als „seltsam“ oder „bizarr“ übersetzen kann, diejenigen bezeichnet wurden, deren „geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung“ von der Mehrheit abwich. Aber sie drehten den Spieß um und machten es wie die homosexuellen Männer mit dem abwertend gemeinten Wort „schwul“.

Andreas Krebs lässt im Buch unterschiedliche queere Menschen zu Wort kommen. Denn queere Theologie sollte „an konkrete Erfahrungen rückgebunden“ sein. Aber sie bietet auch Nichtqueeren die Möglichkeit, in der jüdisch-christlichen Tradition Neues zu entdecken. Das verdeutlicht Krebs, der sich bei seiner Habilitation intensiv mit dem Alten Testament beschäftigte, am ersten Schöpfungsbericht. In der Lu­therbibel heißt es, dass Gott den Menschen „als Mann und Frau“ schuf (1. Mose 1,27). Dabei steht im hebräischen Text „männlich und weiblich“. Für Krebs verweisen die Adjektive „auf zwei Pole eines Spektrums“.

Vor der Gefahr „blanker Willkür“ bei der Interpretation der Bibel schütze „eine Mitte der Schrift, die für den Umgang mit biblischen Texten, das theologische Nachdenken und die daraus folgende Praxis als Richtschnur dienen kann“. Der Bonner Professor erinnert daran, dass in der jüdischen Tradition das Gebot der Nächstenliebe (3. Mose 19,18) die Mitte der Schrift bildet. Auch formal steht es in der Mitte der Tora, der fünf Bücher Mose. Und Christen sind überzeugt, dass Jesus Nächstenliebe gelebt hat und so die „Mitte der Schrift“ verkörpert. Daher seien „aktualisierende Auslegungen der Bibel am Liebesgebot zu messen“.

Bei der „theologischen Methode“ queerer Theologien sieht Andreas Krebs „eine Spannung zwischen einem affirmativen und einem kritischen Umgang mit christlichen Traditionsbeständen“. Zur letzten Gruppe gehört Robert Shore-Gross, Pfarrer der protestantischen United Church of Christ in den USA. Er verkündigt einen Gott, der sich „mit der solidarischen Praxis des ermordeten Jesus“ identifiziert. Ostern ist für ihn das „Ereignis der befreienden Praxis Gottes, der Wahrheit Gottes“. Und so habe Gott „in seiner Solidarität mit uns“ Jesus an Ostern „queer gemacht“.

Pfarrerin Elizabeth Stuart, die zum anglokatholischen Flügel der Kirche von England gehört, interpretiert dagegen selbst Gepflogenheiten queerfreundlich, die römisch-katholische Traditionalisten hochhalten. Der Priesterzölibat sei ein Zeichen der Relativierung des Geschlechts. Und das Geschlecht der Geistlichen trete auch stärker in den Hintergrund, wenn sie der Gottesdienstgemeinde den Rücken zuwenden, statt ihr hinter dem Altar gegenüberzustehen.

Andreas Krebs hat ein Buch geschrieben, das verständlich ist, erhellend und ermutigend. Der Alt-Katholik vermittelt das Bild eines Gottes, der (die/das) nicht statisch, sondern im Werden ist: gut für heilsame Überraschungen.

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