Für die Praxis

Queersensible Seelsorge

Wer online in einem Bibliothekskatalog nach „Queersensible Seelsorge“ sucht, kommt an der gleichnamigen Publikation von Kerstin Söderblom nicht vorbei – mehr noch: Es ist, nicht nur nach ihrer eigenen Recherche, tatsächlich die einzige Monografie zu diesem Thema. Dieser Umstand schürt hohe Erwartungen an die Autorin und das Buch: Schafft sie es, Grundlegendes zu vermitteln und (Zukunfts-)Perspektiven aufzuzeigen?

Söderblom untergliedert ihr Werk in die Abschnitte Einordnen, Wahrnehmen, Verstehen, Umsetzen und Deuten. Bereits im ersten Abschnitt zeigt sie ihre besondere Fähigkeit, biblische Narrationen als Verstehenshorizonte zu entschlüsseln. So ist ihr Seelsorgeverständnis eindrücklich vom Emmaus-Erlebnis zu verstehen. In den folgenden Kapiteln gibt sie Einblicke in ihre eigene seelsorgliche Praxis als langjährig geoutete lesbische Pfarrerin, die queeren Menschen in verschiedenen Kontexten Wegbegleiterin war. Queere Re-Lektüren biblischer Texte, deren Hintergründe sie erklärt oder sie in Textarbeiten oder gar gereimt einfließen lässt, vermitteln Wissen über Diversität in der Bibel, fließen als (Selbst-)Deutungsangebote in die Seelsorge ein und bieten Anschauungsmaterial dafür, wie Menschen, die Queerfeindlichkeit auch im kirchlichen Umfeld erlebt haben, inkludierende Zugänge zur Schrift helfen.

Queersensible Seelsorge, wie sie von der Autorin präsentiert wird, übersteigt Grenzziehungen innerhalb der Praktischen Theologie: So werden auch Kasualien als pastorales Handlungsfeld mit Potenzial zur Queersensiblität betrachtet, wenn ein Namensfest für eine Person gefeiert wird, deren Geburtsname aufgrund von Transition nicht mehr der Vorname ist. Praxisbeispiele von Predigten geben Hinweise auf eine queersensible Homiletik und Anknüpfungspunkte für weitere queere Re-Lektüren.

Zu guter Letzt lenkt Söderblom im Abschnitt „Deuten“ den Blick auf diversitätssensible Pastoraltheologie allgemein. Hier adressiert sie auch noch einmal explizit ein Thema, das sich eventuell einigen Personen bei der Lektüre stellt: Muss ein*e queersensible Seelsorger*in selbst queer sein?

Das verneint sie deutlich; ihre anschaulichen Beispiele zeigen jedoch, dass geoutete queere Pfarrpersonen von queeren Seelsorgesuchenden auch als Erfahrungsexpert*innen angesprochen werden. Deswegen ist gerade dieses Buch für cis und heterosexuelle Seelsorger*innen ein Gewinn, weil Söderblom (auto-)biografische Einblicke gibt, die ein tieferes Verstehen, Nachempfinden oder auch eine Erstbegegnung mit manchen Themen ermöglichen, ohne jemanden möglicherweise zu verletzen oder unsensible Fragen oder Kommentare formuliert zu haben. Die Autorin greift dabei auf einen enorm breiten Fundus an reflektierten Erfahrungen und Wissen zurück.

Diversitätssensiblität möchte Söderblom intersektional verstanden wissen; räumt aber auch ein, dass ihr Fokus auf queeren Personen liegt. Sie ordnet sich und ihr Wirken als Teil von Befreiungstheologie ein und bietet insbesondere dazu wohlgewählte Literaturhinweise. Vermutlich zur besseren Lesbarkeit spart sie an übermäßigen Verweisen. Dass sie konkret die Praxis vor Augen hat, für die sie Material bieten möchte, schlägt sich in dem Glossar nieder, das gerade den Menschen, die noch nicht tiefer thematisch eingestiegen sind, einen schnellen Zugang bietet. Mit konkreten „(Selbst-)Reflexionsfragen für eine queersensible Seelsorge“ bietet sie umfassende Perspektiverkundungen eigener Vorprägungen und Bilder an, die schon übergehen in konkrete Handlungsoptionen. Diese werden am deutlichsten in der „Checkliste für geschützte Räume – ‚Safe(r) Spaces‘ in der Seelsorge“ benannt und legen Grundsteine für queersensible(re)s Kirche-Sein.

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Foto: Heike Roessing

Carlotta Israel

Carlotta Israel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München.


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