Große Bandbreite

Theißen: Resonanztheologie

In den 1970er-Jahren habe ich in Edinburgh Theologie studiert. Zu meiner Verblüffung gab es dort etwas, was ich in Deutschland noch nie erlebt hatte: Die Professoren öffneten regelmäßig ihre Häuser oder Wohnungen und luden ihre Studierenden zu Besuch. Es waren Abende mit großartigen Gesprächen und anregenden Ideen. Liest man die Beiträge in dieser Festschrift, müssen das Gerd Theißen und seine Frau auch so gehalten haben. Ein offenes Haus für ihre Studierenden aus aller Welt. 45 von ihnen haben nun ihre Beiträge in diese Festschrift eingebracht, 278 Seiten stark.

Ausgehend vom Leitbegriff der Resonanz streifen sie alle Aspekte menschlichen Lebens. Gerd Theißen ist bei seinem Bemühen, eine heutige Sprache für exegetische, systematische, hermeneutische, aber auch soziologische Gedanken und Erkenntnisse zu finden, auf das Phänomen der Resonanz gestoßen und hat daraus eine eigene Resonanztheologie entwickelt. Dabei dürfte ihm sein Spiel auf der klassischen Gitarre geholfen haben. Das Bild von Schwingungen, die in anderen Körpern ihrerseits Schwingungen auslösen, kann man nicht nur auf die Theologie anwenden. So kann die Selbstoffenbarung Gottes Resonanzen im menschlichen Glauben auslösen, die wiederum zu eigenen neuen Schwingungen führen. Glaube als Resonanzerfahrung

Diese Grundidee entfalten nun dankbar seine ehemaligen Studierenden. So beschreibt Eric Kun Chun Wong, Professor em. an der Chinese University of Hong Kong, in seinem Artikel „Resonance of A Life Journey“ (einige der Artikel sind auf Englisch und Französisch verfasst), wie er eine neutestamentlich-griechische Übersetzungs-App für chinesische Studierende erschaffen hat.

Max Küchler, Professor em. für Neues Testament an der Universität Fribourg/Schweiz, erklärt, wie der frühchristliche Doppelspruch Lukas 16,9b „Euch selbst macht Freunde aus dem Mammon des Unrechts …“ noch im Zweiten Jüdischen Krieg ein numismatisches Echo in jüdischen Münzen gefunden hat. Das liest sich wie die Puzzle-Stücke eines Krimis.

Im zweiten Teil des Buches – systematisch-theologische Resonanzen – geht etwa Professorin Gudrun Guttenberger von der PH Ludwigsburg auf Gerd Theißens Religionskritik mit einem Literarisch-Wissenschaftlichen Quartett ein, das eine Pressekonferenz gibt, die von solchem intellektuellen Niveau ist, dass Journalisten nicht wüssten, was in der Kreiszeitung zu schreiben wäre. Aber großartig zu lesen.

Kreativ auch, die sarkastische Ironie in Jesaja 6,9–10 aufzudecken. Peter Lampe, Professor em. für Neues Testament an der Universität Heidelberg, versteht so Gott als enttäuschten Liebhaber. Damit enthüllt der Text eine komplett gegenteilige Botschaft als bisher ausgelegt.

Originell ebenfalls Professor Harry O. Maier von der Vancouver School of Theology. Mit seinem Essay „Apocalypse and Resonance at +1,5° C“ bringt er einen neuen Blick auf alte Texte. In Lukas 19,40: „Die Steine werden schreien!“ sieht er eine Resonanz der Schöpfung auf heutiges menschliches Nicht-Handeln in der Klimakrise. Da wird das letzte Buch der Bibel brandaktuell.

Die Festschrift ist kein Buch zum Schmökern. Es sind 41 wissenschaftliche Aufsätze, welche die große Bandbreite des Jubilars wiedergeben. In wissenschaftlicher Sprache. Dass sich viele darauf einlassen, beweist schon die zweite Auflage. Es ist ein Buch für die Horizonterweiterung.

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