Offen

Gemeinde glauben und gestalten

Nachdem sich unterschiedlich ausgerichtete Reformdebatten bereits seit etlichen Jahrzehnten mit der Zukunft der Kirche beschäftigen, wird jetzt mit den veränderten Rahmenbedingungen deutlich, dass erhebliche Veränderungen unausweichlich sind. Diese betreffen längst nicht mehr nur Einsparungen, Zusammenlegungen und Kurskorrekturen, sondern werden zu Recht als Frage nach dem künftigen Charakter der Kirche, ihrer Ausrichtung und natürlich auch ihrer Sozialformen diskutiert. Zu diesem Thema hat jetzt Peter Zimmerling ein Buch verfasst. Der Praktische Theologe aus Leipzig hat seine Forschungsschwerpunkte sonst vordringlich auf Spiritualität und Mystik – was zumindest bei mir Neugier hervorgerufen hat, welche Impulse sich aus dieser Perspektive zur Zukunft der Kirche zeigen. Das Buch ist dann allerdings überwiegend in der Tradition des Gemeindeaufbaus verfasst, was bereits in den zusammenfassenden Thesen des Buches, mit denen das Werk beginnt, deutlich wird, wie auch in den begrifflichen Klärungen, die sich auf Stichworte wie Gemeindeaufbau, Oikodomik, Gemeindeentwicklung oder Church Planting beziehen (Kapitel zwei).

Auch in den folgenden Kapiteln stellt Zimmerling Inhalte zusammen, die im Zentrum des Ansatzes „Gemeindeaufbau“ der 1980er-Jahre standen, als nach den Aufbrüchen und grundsätzlichen Reformforderungen der Kirchenreformbewegung in den 1960er- und 1970er-Jahren die Sozialgestalt der Ortsgemeinde, ebenso aber bekenntnisorientierter Gemeindeformen neu betont wurden. Dies hatte vielfältige Gründe, kann aber sicher auch als Ermüdung aufgrund der starken Veränderungsimpulse der Kirchenreformbewegung sowie der von ihr initiierten Bewegung in die Gesellschaft hinein gedeutet werden, die eine „Entäußerung“ der Kirche forderte.

Aussagen in diesem Werk, dass viele Kirchengemeinden mit dem Gespräch mit Andersglaubenden überfordert seien und dieses daher an Akademien und evangelische Erwachsenenbildung delegiert werden sollte, die Betonung der „Selbstzwecklichkeit“ der Kirche im Anschluss an Dietrich Bonhoeffer, die Empfehlung einer Konzentration auf traditionelle vereinskirchliche Arbeitsbereiche, die Hochschätzung von Begegnung und Geselligkeit, die Rückbesinnung auf geprägte Formen wie das Tischgebet und die Abgrenzung von grundlegenden Reformen bestätigen den Eindruck der Verwurzelung in der Gemeindeaufbaubewegung.

Diesem Ansatz entsprechend, wird zunächst eine biblische Vergewisserung der Formen von Kirchen und Gemeinde im Zweiten Testament (mit einem Schwerpunkt auf dem Begriff und dem Konzept der „Charismen“) vorgenommen (Kapitel drei), bevor Stationen der historischen Entwicklung gemeindlicher Sozialformen dargestellt werden (Kapitel vier).

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf den „ekklesiologischen Grundentscheidungen“, die aus unterschiedlichen Quellen schöpfen und beispielsweise reformatorische Einsichten, theologische Überlegungen Dietrich Bonhoeffers, aber auch das Verhältnis von Kirche und Staat sowie missionstheologische Überlegungen zusammenstellen (Kapitel fünf). Verschiedene Ansätze zum „Gemeindebau“ aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und aus der Gegenwart werden vorgestellt und kritisch gewürdigt (Kapitel sechs).

Im letzten Kapitel werden dann „exemplarische Konkretionen“ angekündigt, wie heute Gemeinde gebaut werden kann. Darunter versammeln sich unterschiedliche Genres von Gesprächen des Autors, erneute Rekurse auf Bonhoeffer (hier mit einem Akzent auf der Wiedergewinnung „Geistlicher Sprachfähigkeit“), Überlegungen zu den Potenzialen von Kirchengebäuden, Kommunitäten und Pilgern mit biografischen Erfahrungen des Autors, aber auch Selbstbeschreibungen missionarischer Gemeindeformen. Diese werden allerdings nur ansatzweise mit den in den Kapiteln zuvor erarbeiteten theoretischen Überlegungen verbunden. Da diese die Stärken der traditionellen kirchlichen Sozialformen hervorgehoben haben und ihre vorsichtige Weiterentwicklung empfehlen, ist zumindest mir nicht recht deutlich geworden, welche Form von Gemeinde das Buch „glauben, denken und gestalten“ möchte. Auch die gestalterischen Konsequenzen einer theologischen Fundierung in Spiritualität und Mystik, die durchaus Erwähnung finden, scheinen mir offenzubleiben.

Insofern dürfte das Buch vielleicht doch eher als Überblick über die Grundlagen des Gemeindeaufbau-Ansatzes mit einigen Bezügen zur aktuellen Situation gelesen werden denn als konzeptioneller Beitrag zu den aktuellen Reformdebatten.

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